48) Epistemologisches Frühstück

Sie klopfte ein zweites Mal an die Schlafzimmertür ihres Vaters. „Frühstück ist fertig“, rief sie gut gelaunt und wartete, ob sich drinnen etwas regte. Ein Lattenrost knarrte, Füße wurden geräuschvoll auf den Boden gestellt. Veronica kehrte zur Küche zurück, setzte sich an den gedeckten Tisch und wartete. Minuten später traten Maria und Zach ein und nahmen gegenüber Platz. Seit die Italienerin mit in das Haus an den Rainford Gardens eingezogen war, lag es jeden Tag an Veronica, den Kaffee aufzusetzen. Zu ihrer Belustigung benahmen sich die beiden wie frisch verliebte Teenager. Sie gab hierzu jedoch keinen Kommentar ab; vielmehr genoss sie die ungewohnte Vitalität ihres Vaters und die angenehme Gesellschaft der neuen Hausgenossin.

Und zugegeben: Sie verbrachten ihre Tage nicht lediglich mit Turteleien, sondern arbeiteten bis spät in die Nacht an Recherchen für ein Projekt, in das sie auch Veronica einbanden. Ihre Rolle bestand darin, das Konzept für eine Workshop-Reihe zum bewussten Umgang mit Medien zu entwerfen. Von der Schulung der Beobachtungsgabe über Methoden zur kritischen Daten- und Medienanalyse bis hin zu wissensphilosophischen Erörterungen würde sie ein breit angelegtes Programm für angehende freie Medienschaffende auf die Beine stellen. Es sollte Menschen helfen, aus dem passiven Konsum von Infotainment-Produkten auszusteigen, um die Herrschaft über den eigenen Geist wieder zu gewinnen… Ihr Vater hatte wirklich Talent, brandheiße Themen in langweilige Wörter zu packen, die mit Sicherheit niemand hinter dem Ofen hervorlockten. Und genau darum sollte sie selbst nicht nur die Autorin dieser Aktivität sein, sondern auch deren Gesicht.

Maria und Zach sammelten derweil Material für eine Serie von Dokumentationen, die im Stil von ‚Bilder, die die Welt bewegten‘ Verbrechen der Unterhaltungsindustrie aufdecken würde, beginnend mit dem aktuellen Stand der PID-Forschung. Darüber sprachen sie nun bei Tisch, kaum dass sie die erste Tasse geleert hatten.

„Die Veränderungen zwischen 1966 und 1967 hätten kaum krasser ausfallen können,“ erörterte Zach. „es ist ein Wunder, dass wir als Fans den Braten nicht gerochen haben. Das stinkt doch geradezu nach frischem Blut in der Band. Ich denke, diesen Aspekt müssen wir stärker herausarbeiten.“

„Die Wenigsten waren damals bereit, die veränderte Lage zu akzeptieren – selbst dann nicht, als sie mit der Nase darauf gestoßen wurden. Ich bezweifle grundsätzlich, dass Menschen allein aufgrund von vermittelten Informationen fähig sind, sich zu ändern“, erwiderte Maria. „Wir müssen Anknüpfungspunkte an Alltagserfahrungen finden, wenn wir mehr Erfolg haben wollen als die Aufklärer Ende der Sechziger.“

„Was ist nun eigentlich die Moral von der Geschichte?“, klinkte sich Veronica ins Gespräch. „Paul ist tot, und weiter? Worauf wollt ihr mit euren Filmen hinaus? Ich meine, was soll das Projekt von normalem Infotainment unterscheiden?“

„Die Botschaft zum Mitnehmen lautet nicht, dass Paul McCartney tot ist“, erklärte Maria. „Wir wissen nicht, welche der verschiedenen Storys stimmt, ob er einen Unfall hatte oder Satan geopfert wurde, ob er einen Aston Martin DB5 oder DB6 oder einen Austin Mini fuhr. Wir wissen nicht, ob andere Fahrzeuge darin verwickelt waren. Wir wissen nicht, wo oder wann genau es geschah, ob er eine Beifahrerin hatte und wenn ja, wie sie hieß oder ob sie überlebt hat. Wir kennen den wirklichen Namen seines angeblichen Nachfolgers nicht. Wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, welche der Paul-ist-tot-Hinweise in Songs, Filmen, Fotos, Interviews oder auf Albumhüllen echt und welche eingebildet sind, oder welche der vielen möglichen Interpretationen die richtige ist. Wir wissen nicht einmal, ob er überhaupt tot ist oder nur einen symbolischen Tod in einem Initiationsritus gestorben ist, oder ob es sich um einen Marketing-Gag handelt oder um ein frei erfundenes Produkt der Beatlemania.“ Sie hielt kurz inne, um nachzudenken. „Wenn Ende 1966 etwas Gravierendes mit Paul geschehen ist und die ganzen Clues in den Beatles-Songs echte Hinweise sind,“ fuhr sie fort, „dann hat niemand etwas davon mitbekommen, bis drei Jahre später, 1969, jemand die Geschichte von Pauls Ableben in die Medien gedrückt hat. Danach konnte man das, was man aufgrund medialer ‚Enthüllungen‘ wahrgenommen hat, nicht mehr ungesehen machen. Man kann seither nur noch Stellung dazu beziehen.“

Veronica zuckte mit den Schultern. „Ok, die Beatles pflegten einen kreativen Umgang mit der Wahrheit – na und? Inwiefern betrifft uns Heutige ein fünfzig, sechzig Jahre alter Skandal?“

„Außer dass immer wieder Menschen im Umfeld dieser Leute unter seltsamen Umständen sterben und du fast eine von ihnen geworden wärst? Sir Pauls Ex-Frau Heather Mills meint sich mit der Behauptung schützen zu müssen, sie habe inkriminierende Informationen hinterlegt, die im Falle eines Falles an die Öffentlichkeit gelangen würden.“

„Schon klar. Aber wie wollt ihr eurem Publikum die Bedeutung der Affäre für andere als die direkt betroffenen Personen nahe bringen? Ich nehme doch an, dass es euch letztlich um mehr als die Beatles geht, oder? Wozu sonst die Workshop-Serie, die ich für euch planen und durchführen soll?“

„Du hast natürlich recht“, schaltete Zach sich ein. „Wie gesagt geht es keineswegs darum, Leute von PID zu überzeugen – der Theorie, dass Paul McCartney tot ist –, sondern sie für die Möglichkeit zu öffnen, dass offizielle Narrative in die Irre führen können oder sogar sollen. Um sich den wirklichen Geschehnissen anzunähern, sollten sie nicht nach mehrheitsfähigen Ansichten streben, sondern ihre Suche nach Wahrheit als individuelle Reise unternehmen. Was sich tatsächlich abspielte, werden wir vielleicht nie erfahren, aber wir können uns dem annähern, wenn wir Auslassungen, Lügen und Widersprüche in dem wahrzunehmen beginnen, was man uns vorsetzt. Immer und überall.“

Maria nickte. „Das betrifft alle medialen Ereignisse, jede klitzekleine Nachrichtenmeldung, die man liest, jedes Foto, das man sieht, jeden Songtext, den man hört, jedes Bild, das für Sekundenbruchteile in einem Musikvideo aufblitzt. Was weißt du wirklich über den Mann, den sie als den neuen Hitler porträtieren? Hast du schon mit ihm gesprochen? Was weißt du wirklich über Viren – hast du je welche gesehen? Was weißt du über die Rolling Stones oder Madonna, über Keanu Reaves oder Julia Roberts, über O.J. Simpson oder Steffi Graf? Nichts davon entstammt deiner eigenen Erfahrung; alles, was du zu wissen glaubst, hat dir irgendjemand unter die Nase gehalten; meist dieselben Leute, die dir die Musik, das Medikament, die Politik, den Krieg oder was auch sonst verkaufen wollen.“

„Also kann man gar nichts mehr glauben“, folgerte Veronica.

„Du darfst alles glauben, was du möchtest, aber du kannst, wenn du ehrlich bist, nur noch sehr wenig von dem wirklich wissen, was du bisher zu wissen glaubtest. Genau das ist der springende Punkt, und das ahnst du wahrscheinlich schon seit langem.“

Sie nickte. „Aber es ist verdammt anstrengend, danach zu leben.“

Zach lachte. „So ist das mit der Wahrheit. Sie ist oft unangenehm, manchmal schmerzhaft und darum selten mehrheitsfähig. Doch ohne sie gibt es keine Freiheit, keinen Frieden und letztlich auch kein Glück.“

„Es fällt mir trotz allem, was wir herausgefunden haben, immer noch schwer, die ganze Tragweite zu akzeptieren. Ich glaube, ich habe… Angst vor den Implikationen.“

Maria legte eine Hand auf Veronicas Schulter. „Ich finde es bewundernswert, dass du dir ihrer bewusst bist. Mach es dir etwas leichter, indem du sie begrüßt statt sie zu vermeiden zu versuchen. Denn wenn unser verändertes Verständnis der Wirklichkeit nicht in verändertes Verhalten münden soll, warum sich die Mühe machen, Wahrheit zu finden?“

Ende

34) Dr Robert

Der orangefarbene Sportwagen bog in die Yewtree Road ein. Nach wenigen hundert Metern blieb er vor dem Haus des Notars Jules R. Miller stehen. Zach und Veronica stiegen aus, gingen den kurzen, von Blumen gesäumten Weg bis zur Vordertür und betraten das Gebäude.

Mrs Wickens, die Sekretärin, begrüßte sie herzlich. „Nehmen Sie im Wartezimmer Platz. Dr Miller kommt in wenigen Minuten aus seiner Besprechung“, fügte sie hinzu.

Vater und Tochter Ziegler kannten den Weg. Sie setzten sich und betrachteten die mit ‚Donna‘ unterzeichneten Gemälde auf der gegenüberliegenden Wand. Eines zeigte Paul McCartney, an seinen dunkelgrünen DB6 gelehnt, ein weiteres porträtierte John Lennon und Yoko Ono Hand in Hand spazieren gehend, und an den Flanken hingen Bilder von George Harrison im Yogi-Sitz und Ringo Starr an seinen Trommeln. Zach stand wieder auf. Er ging hinüber, um sich die darunter angebrachten schwarz-weißen Fotos anzusehen, für die er bei den beiden anderen Besuchen keine Zeit gehabt hatte. Sie zeigten Schnappschüsse und Porträts der vier Beatles, korrespondierend zu den darüber hängenden Gemälden. Jedes Foto entstammte einem anderen Jahr, wie Zach unschwer an den länger werdenden Haaren ablesen konnte. Die Veränderungen bei George und Ringo blieben subtil. Johns Brille änderte sein Erscheinungsbild natürlich viel mehr. Im direkten Vergleich zu früheren Jahren wirkte sein Gesicht in den späten Sechzigern und danach außerdem wesentlich schmaler. Einbildung? Ein natürlicher Prozess? Oder war auch John irgendwann ersetzt worden, temporär oder… wie Paul? Zu Pauls Fotoreihe fiel dem Detektiv nur ein einziges Wort ein: sensationell. Jedes einzelne Bild war eine wirklich gut gelungene Porträtaufnahme, die den Charakter der Person voll zur Geltung brachte. Getrennt betrachtet hätte die Antwort auf die Frage, wen das jeweilige Motiv darstellte, unzweifelhaft immer ‚Paul McCartney‘ lauten müssen. Und genau das verlieh der Reihe Sprengkraft, denn keines der vier Motive zeigte den selben Mann. Unterschiede in Alter, Beleuchtung, Perspektive oder Ausdruck konnten das Auge täuschen, ohne Frage. Aber das waren hier nicht die ausschlaggebenden Faktoren. Es waren die Gesichtsformen und Erkennungsmerkmale selbst, die sich unterschieden: die Nase, die Ohren, der Mund, die Augenbrauen, die Gesichtsform.

„Faszinierend, nicht wahr?“, sagte eine Stimme hinter Zach. Sie gehörte Jules R. Miller, dem Notar, der ‚in Sammlerkreisen‘ als Dr Robert bekannt war. „Man fragt sich ständig, welcher Paul McCartney der echte ist. Haben Sie einen Favoriten? Guten Tag, übrigens.“

„Guten Tag, Dr Miller. Spielt das eine Rolle? Ich komme langsam zu der Ansicht, dass sie wahrscheinlich alle Schauspieler sind. Wenn es einen echten, einen Ur-McCartney gegeben hat, war er ja ebenfalls teilweise Musikdarsteller.“

Miller nickte. „Manches spricht dafür. Es ergibt ökonomisch einfach mehr Sinn. Der Markenname zieht die Kundschaft, nicht das Individuum. Und Hand aufs Herz: Irgendwie wissen wir alle, dass wir nur eine Scheinwelt vorgespielt bekommen, wenn wir die Stars auf der Mattscheibe oder in der Zeitung sehen. Nichts ist real. Trotzdem möchten wir nicht darauf hingewiesen werden. Zusammenstellungen wie diese“ – er deutete auf die Galerie – „suchen Sie bei den sogenannten Qualitätsmedien vergeblich. Bei aller Liebe zur Sensation beißen die Journaillisten niemals die Hand, die sie füttert.“

Mit geschlossenen Augen lebt man bequem…‘“, warf Veronica ein. „Die Beatles gaben die entscheidenden Hinweise ja selbst.“

„Korrekt. Ich glaube aber nicht, dass es lange so bleiben kann. Je mehr die Kontrolleure die Schrauben anziehen, desto unbequemer wird es für das gewöhnliche Volk – und desto mehr Leute erwachen aus ihrem Dornröschenschlaf.“

Zach setzte eine skeptische Miene auf. „Das merke ich zwar auch, speziell seit der Plandemie. Die Verstrickungen zwischen Politik, Wirtschaft, NGOs und Medien sind inzwischen selbst für Blinde sichtbar geworden. Das Problem ist nur, dass so wenige Menschen bereit sind, ihren Lebenswandel an die neuen Erkenntnisse anzupassen und damit ihren Gehaltsscheck zu riskieren.“

Der Notar zuckte die Schultern. „Das liegt nicht in unserer Hand. Im Übrigen sind es vielleicht mehr Menschen, als wir denken. Man kann es nur schwer abschätzen, weil sie aus dem System herausfallen und damit weitgehend unsichtbar werden.“

„Was liegt dann in unserer Hand?“, fragte Veronica.

„Unser eigenes Erwachen“, sprang Zach für den Notar ein. „Sich bewusst in den Prozess der Desillusionierung zu begeben und ihn aktiv voranzutreiben. Es gibt stets noch eine weitere Zwiebelschicht, hinter der sich eine tiefere Wahrheit verbirgt.“

Miller nickte. „Darum, finde ich, ist die Geschichte der Beatles ein solch geeigneter Einstieg in den Ausstieg.“

„Oder auch nicht. Wer sieht schon gern seine Idole vom Sockel gestoßen?“, widersprach die junge Detektivin.

„Wer sieht schon gern, dass die Renten nicht sicher sind? Wer sieht schon gern, wie der Grundrechtekatalog zur Verweigerung der Grundrechte missbraucht wird? Wer sieht schon gern, dass das Nachrichtenmagazin seines Vertrauens ihn jahrzehntelang in die Irre geführt hat? Wer sieht schon gern, dass Mutter Kirche von Satanisten gelenkt wird, oder dass keine Demokratie im Land herrscht, sondern nur ein weiteres Regime in einer zehntausend Jahre alten Reihe solcher Regimes?“, forderte Miller sie heraus. „Niemand sucht sich das Ereignis aus, das dazu führt, dass er aus der fabrizierten Realität herausfällt. Aber eins ist sicher: Der Schmerz missbrauchten Vertrauens und frustrierter Träume lehrt uns, künftig genauer hinzusehen.“

Zach zeigte mit einer bogenförmigen Geste in den Raum. „Haben Sie hiermit vielen Menschen die Falltür nach draußen geöffnet?“

„Wer kann das sagen? Der Impuls, den die Bilder setzen, mag erst Jahre oder Jahrzehnte später zünden. Ich kenne jedoch zahlreiche Leute in Liverpool – auch außerhalb der ‚Familie‘ –, für die Paul McCartneys Tod Fragen an unsere Gesellschaft aufgeworfen hat; Fragen, die von offiziellen Stellen entweder gar nicht oder mit offensichtlichen Lügen beantwortet werden. Vielleicht lassen sie sich noch ein paar Jahre länger irreführen, aber die Wirklichkeit hat einen Fuß bei ihnen in die Tür bekommen. Ihr Ausstieg ist nur eine Frage der Zeit.“

„Ich wünschte, ich könnte Ihre Zuversicht teilen.“ Zach schaute nachdenklich drein.

Veronica trat an dicht vor das Gemälde, auf dem der dunkelgrüne Aston Martin DB6 zu sehen war. „Diese Donna, die die Gemälde geschaffen hat, ist das zufällig die Frau, die in McCartneys Wagen saß?“

Wenn es tatsächlich einen Unfall gab und wenn McCartney diese Anhalterin dabei hatte und wenn sie Donna hieß, dann stimmt sicherlich auch der Rest der Geschichte, das heißt, sie ist damals zusammen mit ihm gestorben“, spekulierte der Notar. „Donna steht der ‚Familie‘ nahe, hält aber Abstand zu Kite. Sie sammelt nicht Altes, sie erschafft Neues. Ich mag den Kontrast zwischen den heiteren Farbgemälden, die den Mythos der Pop-Idole pflegt, und den düsteren Abbildern der Realität. Leider sehen viel zu viele nur die hübschen Farben.“

„Es braucht beides, oder?“, bemerkte Veronica.

Miller warf ihr wieder seinen scharfen, durchdringenden Blick zu, der sie die Male zuvor so sehr gestört hatte. Dann entspannte er seine Gesichtszüge, lächelte sie an und sagte: „Die Weisheit des Alters aus dem Mund der Jugend… Sie haben recht: Schön oder unschön, wir müssen sehen, was ist, statt das, was wir glauben, wünschen, befürchten, vermuten, erschließen, lesen oder hören. Die meisten Leute haben große Probleme zu verstehen, dass die Wirklichkeit realer ist, als alles, was in ihrem Kopf stattfindet.“

„Mr Miller,“ begann Zach.

Der Notar hob beide Hände abwehrend vor seine Brust. „Bitte nennen Sie mich Robert. Wir sind Mitglieder der Familie; mehr noch: Brüder und Schwestern im Geiste.“

„Okay, Robert. Nennen Sie mich gern Zach. Aber Mitglieder der Familie werden wir wohl nie werden.“

„Kite?“

„Kite.“

Jules Robert Miller seufzte. „Eines baldigen Tages wird es zum Bruch kommen. Viele von uns sind längst nicht mehr damit einverstanden, wohin das Schiff steuert.“

„Das ist uns bereits zu Ohren gekommen. Wenn ich recht verstehe, haben Sie auf der letzten Versammlung Schritte unternommen, die geeignet scheinen, einen solchen Bruch herbeizuführen. Können Sie uns etwas über den Verlauf des Abends erzählen?“

„Nun, es gibt wie gesagt eine Gruppe von Mitgliedern, die andere Vorstellungen davon pflegt, wie mit dem Sammelgut umgegangen werden sollte. Wir möchten das Material zur Dokumentation der Zeitgeschichte der Sechzigerjahre verwenden. Gegebenenfalls wird manches für Prozesse oder Tribunale relevant werden, wenn es gelingen sollte, die Kontrolleure aus dem Sattel zu heben – keine besonders wahrscheinliche Entwicklung der nahen Zukunft, aber wir wollen vorbereitet sein. Es wurde uns jedoch zunehmend offensichtlicher, dass Kite Beweismaterial für Paul McCartneys Ermordung sammelt, um es im Interesse seines Großvaters aus dem Verkehr zu ziehen. Unser Plan für den besagten Abend bestand darin, Kites Wachsamkeit zu schwächen, um Kopien von solchen Stücken anzufertigen.“

„Es ging dabei konkret um Mal Evans‘ Erinnerungen, richtig?“

„Richtig.“

„Wie gedachten Sie, ‚Kites Wachsamkeit zu schwächen‘?“

„Duchess of Kirkcaldy, eines unserer Mitglieder, erklärte sich bereit, sein Interesse auf sich zu ziehen.“

„Ist Ihnen bekannt, dass das Mädchen minderjährig ist?“, fragte Veronica.

„Sicher. Aber es war ihre eigene Idee. Sie hat auf dieser Rolle bestanden, und keiner von uns ist in einer Position, ihr Anordnungen zu erteilen.“

„Sie hätten das Vorhaben abblasen können“, sagte Zach.

„Vor wenigen Minuten haben Sie darüber geklagt, dass zu wenige Menschen bereit sind, für die Wahrheit Opfer zu bringen. Ich hege genau wie Sie meine Zweifel, ob Kirk genügend Lebenserfahrung besaß, die Folgen ihrer Entscheidung abzusehen, aber ich bewundere ihre Entschlossenheit.“

„Die nötige Erfahrung besitzt sie nach jener Nacht bestimmt. Es muss traumatisierend gewesen sein. Hat sich ihr Opfer wenigstens gelohnt?“

„Ich würde das bejahen wollen. Wir konnten ein Foto kopieren, das Paul McCartney auf dem Seziertisch zeigt.“

„Kein Richter würde eine Kopie als Beweismittel akzeptieren. Nicht einmal Ihnen als Sammler würde es genügen. Die Versuchung muss doch groß gewesen sein, das Original einzupacken und mitzunehmen.“

„Wem sagen Sie das? Ich bin ein Sammler seltener Fotografien, aber ich bin auch den anderen Sammlern in der Familie freundschaftlich verbunden. Überdies muss ich als Notar die Gesetze des Königreichs achten. Wenn wir das Bild gestohlen hätten, hätte Kirk das womöglich mit dem Leben bezahlt, und ich könnte von Glück sagen, wenn ich lediglich meine Lizenz verliere.“

„Sie haben das Originalfoto also im Schloss zurückgelassen?“

„Wir haben es nur abfotografiert. Semolina steckte es wieder in seinen Plastikumschlag und gab es Kirk zurück. Wir Männer – Mr Mustard, Rocky Raccoon und ich – haben uns anschließend in den Salon begeben, um auf das Gelingen anzustoßen. Semolina holte kurz darauf Mustard zu Hilfe, weil Kirk bewusstlos am Boden lag. Er berichtete, dass er das Foto auf einem Nachttisch in Kites Schlafzimmer gesehen habe. Kite ahnt bestimmt nicht einmal, dass…“

„Irrtum!“, unterbrach ihn der Detektiv. „Kite weiß davon, denn er sagte mir, dass man ihm das Foto entwendet hat.“

Miller sah schockiert aus.

„Halten Sie es für möglich, dass Mustard das Bild eingesteckt hat? Oder Semolina? Die beiden waren allein; die Gelegenheit war günstig.“

„Für Semolina lege ich meine Hand ins Feuer. Sie würde weder stehlen noch zulassen, dass in ihrer Gegenwart gestohlen wird.“

„Hätten Mr Mustard oder Rocky Raccoon später zurückgehen können, um das Foto zu klauen?“

Miller überlegte, dann zuckte er die Achseln. „Ich nehme es an. Ich habe das Schloss zwanzig Minuten nach Semolina verlassen, kurz nach zwei Uhr. Anschließend – wer weiß, was ihnen in ihrer Trunkenheit eingefallen sein mag.“

„Kite hat sich nicht bei Ihnen nach dem Foto erkundigt?“

„Nein. Er hat keinerlei Kontaktversuch unternommen.“

„Haben Sie seither andere Mitglieder ihrer Gruppe getroffen oder mit ihnen telefoniert? Ist über den Abend gesprochen worden?“

„Nein. Außer Molly, meine Sekretärin, habe ich niemand gesehen. Sie mokierte sich wegen Kirks Aufzug. Das war alles, was wir über jenen Abend austauschten.“

„Sie haben nicht versucht, herauszufinden, wie Kirk die Nacht überstanden hat?“, hakte Veronica nach.

„Ich wählte ihre Nummer mehrfach, aber sie nahm das Gespräch nicht an.“

„Könnte sie in Schwierigkeiten stecken?“

„Wenn es stimmt, was Sie sagen: möglicherweise in den allergrößten. Ich dachte, sie genießt noch ein wenig länger die Annehmlichkeiten auf Wallace Castle.“

„Woher kommt das Mädchen eigentlich?“

„Ich weiß es nicht. Eines Tages war sie einfach da. Ich denke zuweilen, dass sie für jemand ein Auge auf uns gerichtet hält. Aber ist das wahrscheinlich? Sie ist noch so jung…“

„Ich habe schon Pferde kotzen gesehen. Finden Sie es normal, dass man ein tiefes gemeinsames Interesse teilt und einander ‚Familie‘ nennt, aber nicht weiß, wie der andere heißt oder woher er kommt?“

„Sie haben natürlich recht. Zu Ihrem Stiefbruder Paul unterhielt ich ein ungleich intensiveres Verhältnis. Nur – wer könnte ein Interesse an uns haben?“

„Kites Familie, die sich sorgt, mit wem er sein gefährliches Wissen teilt? Ein Freimaurerorden, der Kites Aktivitäten unter Kontrolle halten will? Die Geheimdienste? Über Kite wissen wir ja auch nur das, was er uns erzählt. Er zeigte sich allerdings erstaunlich besorgt, dass ich gegen ihn ermitteln könnte.“

Miller lächelte. „Dass jemand gegen ihn vorgeht, sollen Desmond und ich verhüten. Ich darf Ihnen meiner anwaltlichen Schweigepflicht wegen natürlich keine Angaben zu seinen rechtlichen Angelegenheiten machen, aber ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir ein eingespieltes und erfolgreiches Team bilden.“

„Vielleicht wird es Zeit, Loyalitäten zu wechseln.“

„Vielleicht.“

„Gut, Robert. Dann sehen wir uns übermorgen, Sonntag, zur Einäscherung. Soll ich etwas mitbringen oder organisieren? Brauchen Sie Unterstützung?“, erkundigte sich Zach.

„Danke, es ist für alles gesorgt. Ich werde eine kurze Rede halten. Jeder, der möchte, darf sich anschließen und ein paar Worte verlieren. Anschließend gehen wir in eine Bar, um auf Paul anzustoßen. Zwischen elf und zwölf Uhr sind die Feierlichkeiten für den Tag beendet. Wir treffen uns am Dienstag Vormittag auf dem Toxteth Park Cemetary zur Beisetzung wieder.“

„Wie viele Leute werden voraussichtlich teilnehmen?“

„Zur Einäscherung sind nur die engsten Freunde eingeladen. Ich rechne mit zehn bis fünfzehn Personen. Die Beisetzung wurde bereits in der Zeitung annonciert. Viele kannten Paul; mal sehen, wie viele ihm die letzte Ehre erweisen werden.“

32) Gestern und heute

Veronica begann den Morgen mit einer kleinen Recherche. Molly Jones hatte am Vortag sehr seltsam reagiert, als Zach gescherzt hatte, der Koffer eigne sich fast für die Aufnahme eines Menschen. Die Sekretärin hatte das Album ‚Yesterday and Today‘ erwähnt und sich geschüttelt. Veronica kannte den Titel nicht, ging aber wie selbstverständlich davon aus, dass es sich um ein Beatles-Werk handelte. Sie blätterte durch die LP-Sortierkästen des Ladens. Sie fand drei Exemplare des Albums. Eines zeigte drei der Pilzköpfe um einen auf seiner kleinsten Seitenfläche stehenden Kistenkoffer geschart. Der Deckel war geöffnet und im Inneren saß Paul McCartney. Obwohl die Gesichter der vier Musiker keine Trauer ausdrückten, stellte Veronicas Imagination die Verbindung zu einem Sarg oder dem Verscharren eines Leichnams her. Sie suchte auf der Rückseite des Covers nach dem Copyright-Datum. Da, 1966. Yesterday and Today‘ musste eine der letzten Veröffentlichungen gewesen sein, an denen der biologische Paul McCartney mitgewirkt hatte. Im Gegensatz zu Molly Jones war sie nicht der Meinung, dass der dort abgebildete Koffer dem von Jane Asher glich, verstand jedoch ihre instinktive Reaktion auf den Scherz ihres Vaters.

Die Hüllen der beiden anderen LPs zeigten ein völlig anderes Bild: Die Beatles trugen weiße Arbeitskittel. Man hatte sie mit etwas garniert, das auf den ersten Blick wie Leichenteile aussah. Bei näherer Betrachtung erkannte sie, dass es sich um Körperteile aus der Tierschlachtung sowie lebensgroße nackte Baby-Plastikpuppen handelte, deren Köpfe nicht mehr auf den Rümpfen saßen. Die vier Musiker schienen die Metzgerszene zu genießen. Sie strahlten und grinsten, als habe ihnen jemand einen guten Witz erzählt. McCartney saß genau im Zentrum. Das Motiv stach schockierend aus der ihr bekannten Parade biederer Sechzigerjahre-Produktionen heraus. Das Spiel mit Ekel und Gewalt als Verkaufsargument trieben eigentlich Punk- und Metal-Bands, zehn beziehungsweise zwanzig Jahre später. Nicht einmal die Stones hatten Vergleichbares gewagt.

Veronica stellte fest, dass Onkel Paul die Scheibe mit dem Kofferbild für vergleichsweise kleines Geld verkaufte, für das Metzger-Ding hingegen Mondpreise im fünfstelligen Bereich aufrief. Sie leitete daraus ab, dass der Koffer die reguläre Version schmückte, die Schlachter-Clique eine limitierte, zensierte oder nur regional verkäufliche, jedenfalls rare Version. Sie wunderte sich erneut über die bizarren Dinge, die allenthalben zum Vorschein kamen, wenn man ein wenig am glänzenden Lack der Fab Four kratzte.

Ein Geräusch an der Ladentür ließ Veronica herumfahren. Ihr Nervenkostüm hatte gelitten, seit sie in Liverpool angekommen waren, stellte sie fest. Sie sah Maria, die den Schlüssel ins Schloss gesteckt hatte und gerade im Begriff stand, sich selbst einzulassen. Veronica winkte ihr, während sie sich in Bewegung setzte, um ihr zu öffnen. Die Italienerin zog den Schlüssel wieder ab. „Guten Morgen, Signorina Veronica“, sagte sie dankbar.

„Guten Morgen, Maria. Überpünktlich wie immer.“

„Störe ich?“

„Im Gegenteil. Ich kann Gesellschaft heute ganz gut gebrauchen.“

„Haben Sie schlecht geträumt?“

„Danke der Nachfrage. Ich hätte Anlass dazu gehabt.“

Maria sah die Schallplatten, die die Detektivin auf den Sortierkisten liegen gelassen hatte. „Na, da kann einem aber auch schlecht werden, wenn man den Tag mit solchen Szenen beginnt.“

Veronica schnaubte. „Können Sie mir erklären, weshalb eine angeblich für Frieden und Liebe stehende Band sich in einer derart morbiden Aufmachung fotografieren lässt?“

„Von wegen, morbide – Avant-Garde! So lautet zumindest die gängige Erklärung.“

„Morbide und geschmacklos. Wie lautet die zweitgängigste Erklärung?“

Maria warf ihr einen listigen Blick zu und fragte zurück: „Wie kommen Sie darauf, dass es die gibt?“

„Weil das, was in den Zeitschriften und Büchern über die Beatles steht, mehr Löcher enthält als ein Schweizer Käse, mehr Widersprüche aufweist als ein falsches Geständnis, und weil ich bisher für jede solche Story eine besser zu den Tatsachen passende gefunden habe.“

„Schön beobachtet. Wie wär‘s dann hiermit: Die Beatles hatten die Nase voll davon, dass ihre Alben für US-Veröffentlichungen von der Plattenfirma verhackstückt wurden. Capitol Records hat sie gekürzt, umgestellt und mit anderen ihrer Werke kombiniert. In diesem Fall hat das Label einige Songs vom noch nicht erschienenen ‚Revolver‘-Album mit Stücken von den beiden Vorgängern auf ‚Yesterday and Today‘ gepresst. Das ‚Butcher-Cover‘, wie es von Kennern genannt wird, sollte ein visueller Protest werden. Der Schuss ging nach hinten los; die schon ausgelieferten Chargen mussten nach massiven Beschwerden von Händlern und Kunden zurückgerufen und neu verpackt werden. Die Band hat aber zumindest erreicht, dass ‚Yesterday and Today‘ das letzte solche Produkt blieb.“

„Grimms Märchen, die Zweite. Als ob die PR-Leute des Labels keine Ahnung hatten, welch eklatanten Tabubruch sie begingen! Waren sie auf Schockwirkung aus? Schließlich ist auch schlechte Presse gute Werbung.“

Maria wiegte den Kopf. „Es gibt hier zwei sehr interessante Umstände, die gegen eine simple PR-Aktion sprechen – und für eine tiefer gehende Manipulation. Ad 1: Yesterday and Today wurde am 15.6.‘66 veröffentlicht. Nehmen wir eine einfache numerologische Operation vor: Eins plus fünf ergibt sechs, für all jene, denen die drei weiteren Sechsen nicht genügen. Vier mal sechs ergibt 24. Zwei plus vier ergibt wieder…“

„Sechs! Hol‘s der Teufel.“

„Nur eins von vielen Beispielen, in denen die Veröffentlichung an Daten mit esoterischer Bedeutung stattfand. Ad 2: Im August, vier Tage vor Beginn der US-Tour erschienen drüben sowohl das Album ‚Revolver‘ als auch die Single-Auskopplung ‚Eleanor Rigby / Yellow Submarine‘. Von den insgesamt vierzehn Songs spielten sie wie viele live? Was glauben Sie?“

„Die Bands, auf deren Konzerten ich war, haben stets mehr als die Hälfte, manchmal sogar alle Lieder von ihrer neuesten Scheibe gespielt.“

„Die Beatles spielten keinen einzigen aktuellen Song, nur zwei vom Vorgänger ‚Rubber Soul‘, und neun alte Kamellen, darunter zwei Coverstücke.“

Veronica runzelte die Stirn. „Ich bin zwar keine PR-Spezialistin; vielleicht hat man den Zweck von Öffentlichkeitsarbeit in den Sechzigern auch anders verstanden als heute, aber aus meiner Sicht wurde bei der Vermarktung von ‚Revolver‘ Murks gebaut. ‚Yesterday and Today‘ fraß Aufmerksamkeit und Kaufkraft auf. Gleichzeitig sorgte das Butcher-Cover für einen Skandal, der bestimmt manche von ihrer Beatlemania kurierte. Und zu guter Letzt wird das neue Material überhaupt nicht live gespielt? Was sollte die Tour überhaupt bringen?“

„Wie ich schon sagte, es sieht mehr nach Massenmanipulation aus. Die Beatles wurden über Monate ins Bewusstsein der Konsumenten gepresst. Ein Compilation-Album, eine Single, eine neue LP, Interviews, Zeitungsberichte, Skandalnachrichten, Tour… Die simplen Melodien und albernen Teenie-Liebestexte der frühen Alben gingen gut ins Ohr; ‚Revolver‘ klang weniger gefällig, die neuen Stücke waren wesentlich komplexer. Also hat man sie weggelassen, um die Stimmung bis zum 29. August, dem Tag des allerletzten Konzerts vor einem Massenpublikum, nochmals richtig aufzuheizen. Dreizehn Tage später stirbt McCartney; eine neue Ära beginnt, in der die Band Psychedelic-Musik schreibt, deren Texte fast ausschließlich aus unterschwelligen Botschaften bestanden, und in der ihre Mitglieder offen den Gebrauch von Hasch und LSD befürworten.“

„Verstehe,“ sagte Veronica, „Die Fans und die Radio hörende Bevölkerung vollzogen die Lockerung der Moralvorstellungen mit, denn wenn‘s ihre Lieblinge, die vier netten Jungs aus Liverpool, gut fanden, musste es cool sein. Dann folgte der Sommer der Liebe, Flower Power, Vietnam-Proteste, New Age – was gibt es daran auszusetzen? War das nicht eine Verbesserung gegenüber dem verkrusteten, verklemmten Zustand vorher?“

„Relativ gesehen schon, aber es geht den Olympiern nicht um Reformen. Billy Shears schreibt in seinen Memoiren, dass es ihr Ziel sei, die alte Ordnung komplett zu zerstören, um ihre neue Weltordnung wie Phoenix aus der Asche daraus erstehen zu lassen. Institutionen, Traditionen, Religionen, Nationen und so weiter – Konzepte, die dem Leben einen Halt und einen Rahmen geben – sollen ihrer Grundlagen beraubt und aufgelöst werden. Dann folgt ‚der Große Neustart‘. Die Unterhaltungsindustrie spielt eine wesentliche Rolle im Zerstörungswerk, weil sie zum einen für harmlos gehalten wird, zum anderen jedoch ihre Inhalte tief ins Unterbewusste des Menschen einpflanzt. Gerade junge Menschen, die sowohl formbar sind als auch gern gegen die herkömmlichen Normen rebellieren, können auf diesem Weg leicht für die Sache der Olympier eingespannt werden. Billy schreibt, die Beatles und die Rolling Stones seien gezielt aufgebaut und eingesetzt worden, um Barrieren zu brechen.“

„Wer sind diese Olympier? Halten die sich für Götter? Was wollen sie von uns?“, wunderte sich Veronica.

„Die Kontrolleure nennen sich so. Sie entstammen uralten Blutlinien, Dynastien, die Jahrtausende in die Vergangenheit zurückreichen, vielleicht sogar bis zum Beginn der Zivilisation. Sie bedienen sich der Illuminati, diese bedienen sich der Freimaurer, und letztere bedienen sich der gesellschaftlichen Hierarchien, um die gewöhnliche Bevölkerung zu lenken. Letztlich geht es um die Schaffung eines neuen Menschen, einer künstlichen Spezies – unsterblich, allwissend, allmächtig –, die den Göttern, der Natur, ja dem gesamten Universum trotzen kann.“

„Größenwahn, wie er im Lehrbuch steht.“

„Psychopathen und Soziopathen, Signorina, wenn man es in psychologischen Begriffen ausdrücken will; Satanisten, wenn man es aus religiöser Sicht betrachtet. Falls es stimmt, was Billy Shears schreibt, sind nicht nur die oberen Ränge der Freimaurer und die Illuminaten Satanisten. Die Olympier selbst glauben, dass Luzifer die Welt regiert.“

„Jetzt verstehe ich so langsam, weshalb Mr Kite sagte, McCartney habe es verdient, Luzifer übergeben zu werden. Er meinte buchstäblich eine Opferung, richtig?“

„Si. Ich deutete es vor ein paar Tagen schon einmal an.“

„John Lennons Spruch, er habe seine Seele an den Teufel verkauft, muss man dann ebenfalls wörtlich nehmen, oder?“

„So ist es. Manche glauben, es geschah am 27. Dezember 1960, als das erste Mal ein Beatlemania-ähnlicher hysterischer Ausbruch auf einem ihrer Konzerte entstand; Billy nennt den 24. Oktober 1963. Es spielt keine Rolle. Paul und John, und vielleicht auch George, sagten Dinge, deren Tragweite sie in ihrem jugendlichen Leichtsinn kaum abschätzen konnten. Geld, Mädchen, Ruhm, Einfluss – der Teufel gibt dir alles, wenn du ihm im Gegenzug deinen größten Schatz versprichst: deine unsterbliche Seele.“

„Ich mag das Wort ‚Gott‘ nicht; es ist überfrachtet mit Vorstellungen, die ich nicht teile“, sagte Veronica, „aber ich glaube, es gibt etwas Höheres, eine ordnende Kraft, die das Leben liebt. Die Seele ist es, die uns lebendig macht, oder?“

Maria nickte.

„Ich glaube aber nicht an den Teufel. Der wurde doch nur erfunden, um den Menschen Gehorsam beizubringen.“

Die Italienerin lachte trocken. „Ich würde mich hüten, ihn zu unterschätzen. Erstens besitzt das Böse eine eigene Dynamik, eine Kraft, die dem Guten, dem Göttlichen, entgegen gerichtet ist. So wie Christus das Fleisch gewordene Gute darstellt, personifiziert der Teufel das Böse. Sie können sich die beiden Seiten in ganz verschiedenen Worten, Bildern und Konzepten zurechtlegen, aber ihre Existenz als solche bleibt davon unberührt.“

„Verstehe. Jede Kultur formt ihre eigenen Mythen, um die Kräfte zu erklären, die ihr Dasein beeinflussen.“

„Si, Signorina Veronica. Deshalb spielt es – zweitens – keine Rolle, ob Sie den Teufel, Satan oder Luzifer für real halten oder nicht. Was zählt ist vielmehr, dass die Olympier und ihre Untergebenen an ihn glauben, denn es hat Auswirkungen auf alles, was sie tun. Paul McCartney mag den Teufel für einen Witz gehalten haben, fiel aber dennoch dem Silberhammer der Satansdiener zum Opfer. Da sie global alle Machtstrukturen kontrollieren, stimmt Billys Aussage, dass Luzifer die Welt beherrscht; ob im übertragenen oder wörtlichen Sinn, bleibt sich gleich.“

Im Gesicht der jungen Detektivin zeigte sich Betroffenheit.

„Es gibt hierbei noch einen dritten Aspekt, der genau wie die beiden anderen von der Mehrzahl unserer Zeitgenossen abgestritten und daher überhaupt nicht beachtet wird. Die Riten, Opfer und Beschwörungsformeln des religiösen Satanismus sind nicht der Kern seiner Lehre. Das sind sie bei keiner Religion. Der Lohn des Satanisten sind weltliche Güter. Mit anderen Worten: Er glaubt an den radikalen Materialismus und verankert den Menschen daher in der rein physisch-rationalen Ebene, die seinem niederen Ego-Bewusstsein entspricht. Wenn wir bedenken, wie die Wirklichkeit in den Medien gezeichnet wird, wie Geld alle Bereiche der Gesellschaft dominiert, was die Leute allgemein für erstrebenswert halten und wer in ihrem Leben die Hauptrolle spielt – nämlich nur sie selbst –, dann können wir ohne Einschränkung festhalten, dass die Mehrzahl der Menschen Materialisten und Egoisten sind. De facto handeln sie wie Satanisten.“

27) Kaspertheater

Spät am Abend hatte sich Zach doch noch aufgerafft, seine Aufgabenliste nach Prioritäten zu ordnen und den einzelnen Punkten ein Zeitbudget zuzuordnen. Da Semolina morgen in aller Frühe zum Putzen im Laden eintreffen würde, stand ihre Befragung ganz oben auf der Liste. Das fand er günstig, denn er vertraute ihr; er glaubte, sie würde wahrheitsgemäß auf seine Erkundigungen antworten. Überdies besaß sie eine scharfe Beobachtungsgabe. Daher hoffte er, dass ihre Aussagen den Einstieg in den Fall erleichterten. Eine bessere Interviewpartnerin konnte er kaum finden.

Was sie zu sagen hatte, würde möglicherweise, wenn nicht sogar wahrscheinlich, die Reihenfolge seiner Liste verändern. Dennoch musste er die Ermittlungen geordnet angehen. Er brauchte eine Aufstellung von Eröffnungsfragen, und bei der Gelegenheit würde er auch gleich für jeden Zeugen beziehungsweise Verdächtigen eine Karteikarte anlegen; auf ihr sollten die bekannten Informationen zur Person stehen und offene Fragen vermerkt werden. Das war ein mechanischer, wenig anspruchsvoller Vorgang, aber er half dabei, Ordnung im Datenwust zu halten, der erfahrungsgemäß schnell entstehen würde, und damit Zeit beim Wiederauffinden gesammelter Informationen zu sparen.

Er begann, die Karteikarten mit Hilfe des Warenbuchs, den Notizen aus dem Gespräch mit Henry und den Erinnerungen an Mr Kites Aussagen zu erstellen.


Viertel vor acht Uhr am nächsten Morgen ging Zach in den Laden hinunter, um Maria abzufangen, bevor sie ihre Arbeit begann. Sie besaß ihren eigenen Schlüssel, so dass sie jederzeit kommen und gehen konnte, ohne auf die Anwesenheit Paul Campbells angewiesen zu sein. Die Zieglers sahen keinen Grund, weshalb sie das Arrangement ändern sollten. Wenn Paul ihr vertraut hatte, konnten auch sie es. Wie an den beiden vorangegangenen Tagen traf die Italienerin zehn Minuten früher ein. Sie hatte ein freundliches Lächeln im Gesicht und grüßte Zach eher herzlich als höflich.

„Signora,“ sagte der Detektiv in gespielt italienischem Akzent, die zweite Silbe des Wortes betonend und mit jener überschwänglich südländischen Sprachmelodik, die er bei Maria aufgeschnappt hatte. „Wasse kaan ich Gutes für Sie tuun?“

Die Putzhilfe gab ihm einen Klaps auf den Unterarm und beäugte ihn spitzbübisch. „Ach, Sie! Malträtieren Sie die Sprache meiner Eltern nicht. Sonst rede ich Sie in Zukunft nur noch auf Schwäbisch an, Signore Ziegler.“

Zach tat erschreckt. Ein reumütiger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. „Bloß nicht. Ich würde Ihr italienisch gefärbtes Englisch vermissen.“

„Na dann – Haben Sie heute einen besonderen Wunsch, was ich tun soll, oder spule ich mein normales Programm ab?“

„Ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie Ihre Arbeit wie ein Roboter verrichten, Maria. Aber ich hege tatsächlich einen Wunsch. Kommen Sie nach hinten. Setzen wir uns. Es geht um ein ernstes Thema.“

Als sie im Hinterzimmer Platz genommen hatten, Zach im Sessel, Maria Borghese auf dem Sofa, sagte der Detektiv: „Veronica und ich haben gestern William Wallace Campbell besucht…“

„Ich weiß“, erwiderte die Italienerin.

„Sie wissen es? Woher?“

„Henry hat mir davon erzählt. Was in der Familie vor sich geht, bleibt zwar in der Familie, aber dort pflanzt es sich mit Überschallgeschwindigkeit fort.“

„Schön. Zuerst würde ich gern wissen, ob es zwischen meinem Stiefbruder und diesem… Campbell-Clan irgendwelche verwandtschaftlichen Beziehungen gibt.“

Veronica kam aus der Wohnung herunter, grüßte Maria herzlich und warf die Kaffeemaschine an. Dann setzte sie sich still auf die Treppe, um das Gespräch aus dem Hintergrund zu verfolgen.

„Meines Wissens nicht“, fuhr die Italienerin fort. „Campbell ist hier ein so häufiger Familienname wie Müller, Meyer oder Schmidt in Deutschland.“

„Beruhigend. Er führte sich auf, als sei der Fab Store nach ihm benannt.“

„Si, das kann er gut.“

„Ich habe nach dem, was er sonst noch alles gesagt hat, tausend weitere Fragen. Die muss ich leider zurückstellen, denn Mr Kite hat mir einen dringenden Auftrag erteilt. Ich hoffe, Sie können mir dabei helfen.“

„Sicher, Signore. Welches Objekt sollen wir denn jetzt für ihn auftreiben?“

„Ein… Foto. Es handelt sich jedoch nicht um einen Auftrag für den Laden, sondern für mich in meiner Eigenschaft als Privatdetektiv.“

„Ach so? Wie kann ich helfen?“

„Kite sagte mir, dass am Abend des 30. April ein Familientreffen in seinem Schloss stattgefunden habe. Alle außer meinem Stiefbruder seien zugegen gewesen. An jenem Abend sei ein Foto aus seiner Sammlung abhanden gekommen. Können Sie mir etwas über den Gegenstand erzählen? Und wie verlief das Treffen?“

Die Italienerin hatte während seiner Worte überrascht die Augen aufgerissen, sich dann aber schnell wieder gefasst. Sie antwortete: „Normalerweise kommen wir alle halbe Jahre zusammen, um unsere neuesten Fundstücke herumzuzeigen. Üblicherweise koordinieren wir da auch weitere Beutezüge, um gezielt Lücken im Bestand zu füllen. Dieses Treffen galt jedoch dem Koffer, den Paul und ich nach monatelanger komplizierter Suche und endlosen Verhandlungen endlich nach Liverpool bringen konnten. Alle waren schon ganz gespannt. Das Objekt besitzt einen gewissen Kultstatus, nachdem es so lang verschollen war, sowie wegen seines Inhalts.“

„Was meinen Sie mit Lücken im Bestand?“, fragte Zach.

„Die Gegenstände sind zwar Privateigentum, aber wir sehen unsere Sammelaktivität als gemeinsame Bemühung, eine Art virtuelles Museum oder Dokumentationsprojekt aufzubauen.“

„Es gibt doch schon ein Beatles-Museum. Reicht das nicht? Was spricht dagegen, diesem zuzuarbieten?“

Maria Borghese verzog das Gesicht. „Signore Ziegler, nach allem, was Sie erfahren haben, glauben Sie da wirklich, das Beatles-Museum von Liverpool habe irgendein Interesse an unseren Memorabilien? Die spielen doch Kaspertheater für Familien mit Kindern. Den Hippies präsentieren sie die heile Welt der Sechziger, als der Dorfpolizist noch keine Ahnung hatte, wie Dope riecht oder wie ein Trip aussieht.“

„Und was spielen Sie? Schattenboxen?“, ereiferte sich Zach, doch es tat ihm sofort leid. „Entschuldigen Sie, Signora. Ich möchte nicht unhöflich sein. Auf mich macht dieses – wie nannten Sie es? – virtuelle Museum den Eindruck eines elitären Egotrips reicher Säcke wie dieses Mr Kite. Es entzieht sich meinem Verständnis, was eine integre Frau wie Sie darin zu suchen hat.“

„Schon gut. Ein paar von uns sind wie Kite, andere träumen tatsächlich von einem Dokumentationszentrum, in dem eines Tages die dunklen Seiten der Musikindustrie aufgearbeitet werden. Sowohl Ihr Stiefbruder als auch Henry und ich sind uns derselben bewusst. Die Zeit, wenn wir unser Wissen auf formelle Weise weitergeben können, liegt womöglich in ferner Zukunft. Im Moment müssen wir leider mit den selben Beschränkungen leben, die auch 9/11-Truther, ‚Covid-Leugner‘, ‚NWO-Spinner‘ und andere sogenannte ‚Verschwörungstheoretiker‘ betreffen. Am sichersten sind die Forschungen und die Sammlungen daher in privaten Händen aufgehoben.“

„Wie Sie es erklären, wird mir Ihr Anliegen verständlicher“, lenkte Zach ein. „Es könnte sogar sein, dass Sie recht haben. Auch einige der anderen Wissenschaften sind auf diese Weise entstanden. Ein paar Scharlatane sammeln Mumien, ein paar Idealisten sieben den Sand nach alten Knochen, ein paar Diebe plündern Gräber, ein paar Romantiker lesen antike Texte, ein paar Imperialisten schmücken sich mit historischen Federn fremder Völker. Es wird mehr zerstört als bewahrt, aber am Ende haben wir Archäologie, Anthropologie, Ethnologie, Historiografie und Soziologie als ordentliche Fächer, und die großen katalogisierten und dokumentierten Sammlungen im British Museum und anderswo.“ Er schwieg einen Moment. Dann sagte er: „Was war denn nun auf dem Foto zu sehen, das Kite angeblich gestohlen wurde?“

„Hat er es Ihnen nicht gesagt?“

„Sagen Sie mir, was es darstellt“, wich er der Beantwortung ihrer Gegenfrage aus.

Die Maschine spotzte und spuckte die letzten Tropfen kochenden Wassers über dem Kaffeepulver aus. Veronica schenkte drei Tassen ein, servierte ihrem Vater und Maria jeweils eine davon und setzte sich mit der dritten zurück auf die Treppe.

„Es handelt sich um eine Aufnahme aus der Pathologie. Man sieht die nackten Schultern und den Kopf eines toten Mannes – zumindest sieht man, was vom Kopf noch übrig ist. Er ist weiß, hat dunkle Haare, keinen Bart. Er macht den Eindruck, als sei er jung gestorben, aber sein Alter war ohne Gesicht natürlich schwer zu schätzen…“ Langsam fügte sie hinzu: „Der Schädel war durch den Schlag mit einem stumpfen Gegenstand bis zum Gaumen hinunter gespalten.“

„Uh, grausig. Konnten Sie an irgend etwas erkennen, wer der Tote war?“

„Nein. Der Leichnam war zwar weitgehend von Blut und Hirnmasse gereinigt worden, aber ich entdeckte keinerlei Anhaltspunkte für eine Identifizierung. Es gibt zwei Datenpunkte, die eine gewisse Hypothese stützen…“

„Sie glauben, dass man ihn auf dem Bild sieht?“

„Kite konzentriert seine Sammelaktivität auf Paul-ist-tot-Material; Punkt eins. Punkt zwei: Sie können dasselbe Bild für einen Sekundenbruchteil in einem der Videoclips zum Song 1882 sehen – McCartneys Song 1882.“

„Billy hat das Autopsiefoto eines Mannes mit gespaltenem Schädel in einem Promo-Video gezeigt?“

„Si. Bis es aus dem Verkehr gezogen wurde. Sie müssen die 2:31 lange Version ansehen. Bei 1:59 blitzt es kurz auf. Bevor man begreift, was es darstellt, flackern drei weitere Bilder über den Bildschirm. Das ganze Machwerk steckt voll seltsamer, scheinbar unzusammenhängender Bilder und Symbole. Da unterscheidet es sich in nichts von den Streifen zahlreicher namhafter Kollegen, die den MTV-Kids ins Unterbewusstsein gepumpt werden.“

„Ich will gar nicht daran denken, was das in deren Köpfen anrichtet. Woher kennen Sie das Foto? Hat Kite es auf dem Treffen herumgezeigt?“

„Die meisten von uns kannten es aus dem Musikvideo. Da wir den Tod des biologischen Paul McCartney für gegeben erachten, klopfen wir jede neue Veröffentlichung im Umfeld der Beatles nach Hinweisen ab. Kite hat sich den Originalabzug des Fotos schon Jahre früher beschafft, sagt er. Er prahlt gern damit, hat uns aber nie einen Blick darauf gewährt.“

„Haben nicht Sie und mein Stiefbruder es besorgt?“

„Nein, er hat Desmond darauf angesetzt.“

„Desmond Jones? Donald Wickens, der Polizist?“

„Genau der. Er besitzt Drähte bis ganz nach oben. Er weiß wahrscheinlich sogar, wo Paul McCartney den Unfall hatte.“

Zach schnaubte. „Er wollte mich überzeugen, dass ich ganz schön dumm sei, Ammenmärchen wie die Doppelgängertheorie zu glauben.“

„Natürlich. Es ist sein Job.“

Der Detektiv überlegte einen Moment, ob er schockiert sein oder sich in Marias gelassenes ‚Natürlich‘ ergeben sollte. Er entschied sich für die zweite Option. Er hatte während seiner Laufbahn als privater Ermittler zu viel erlebt, um Illusionen über das Gute im Menschen zu hegen. Er glaubte an dieses Gute, o ja. Jeder neue Erdenbürger wurde damit geboren; und dann wurde er Tag für Tag unbarmherzig in Formen geprügelt, auf denen Wörter wie ‚Arbeitskraft‘, ‚Konsument‘, ‚Steuerzahler‘, ‚Bürger‘ oder ‚Kanonenfutter‘ standen. Er wurde so lang niedergeknüppelt, bis jeder Knochen seines Rückgrats gebrochen und er zu benommen oder weichgekocht war, um für etwas geradezustehen, das nicht der Schmerzvermeidung diente. Nur wenige Menschen waren heutzutage zu mehr fähig.

26) Ein heißer Tag auf der Abbey Road

Zach setzte sich in den Sessel im Hinterzimmer. Er legte die Füße auf das Tischchen, stellte das Laptop auf die Oberschenkel, öffnete es und schaltete es ein. Während Veronica die bösen Geister zu vertreiben versuchte, indem sie sie ins Licht zerrte, wählte der Detektiv eine andere Methode: Er folgte dem Ruf der Pflicht. Seine Liste der zu erledigenden Dinge war ins Riesenhafte gewachsen, seit er in Liverpool angekommen war. Der Zeitdruck fühlte sich brutal an. Nicht zuletzt verdankte er das Mr Kites Auftrag. Zunächst war es ihm wie eine gute Idee erschienen, dem Familienoberhaupt einen Gefallen zu tun. Er zeigte seine Hilfsbereitschaft, hatte endlich einen guten Grund, persönlich Kontakt mit den anderen Mitgliedern aufzunehmen, und verdiente nebenbei eine Stange Geld. Nun jedoch musste er acht Personen in ebenso vielen Tagen befragen, und er konnte sich schon ausrechnen, dass es dabei kaum bleiben würde. Am besten begab er sich sofort an die Arbeit. Zuvor wollte er einen Punkt von seiner Liste streichen, den er meinte, schnell erledigen zu können: den Halter des weißen Käfers zu ermitteln, der vor dem Eingang des Wallace-Schlosses gestanden hatte. Er wählte die britische Halterdatenbank an. Er tippte LMW 281F ein, dann schickte er die Anfrage ab. Keine Registrierung vorhanden. „Nanu?“, dachte er, „Habe ich mich vertippt?“ Er ging im Geist nochmals die Szenen durch, als er das Gebäude betreten beziehungsweise verlassen hatte. Er hatte keine Notizen gemacht, erinnerte sich jedoch deutlich an Veronica, wie sie Buchstaben und Zahlen vorlas. Sollte er sie fragen? Er entschied sich dagegen; er saß gerade so bequem.

Einer Intuition folgend gab er das Kennzeichen in eine Web-Suchmaschine ein. Zach hatte mit wenig mehr als unsinnigen Ergebnissen gerechnet. Um so überraschter war er über die Zahl der Treffer, die sofort einen Beatles-Bezug herstellten. Den mitgelieferten Bildern nach zu urteilen hatte er voll ins Schwarze getroffen: Das erste zeigte das Heck eines VW Käfers, der am Straßenrand parkte, fast genau so wie in seiner Erinnerung an die Szene vor dem Schloss. Ein weiteres Bild zeigte den selben Käfer im Kontext: auf dem Cover eines Albums, das er seit seiner Jugend kannte – Abbey Road. Er schmunzelte. „Natürlich!“, dachte er. Wie konnte es anders sein? Der Käfer wurde im Englischen bug oder beetle genannt. Weder im Herkunftsland Deutschland noch im Königreich war das die offizielle Typenbezeichnung, aber die Anwesenheit eines solchen Gefährts auf einem Beatles-Foto erhob das Objekt fast von selbst in den Status eines gesuchten Sammlerobjekts.

Nun musste er nur noch herausbekommen, wer den Wagen zuletzt erworben hatte, um an den Namen von Kites geheimnisvollem Besucher zu erfahren. Zunächst fand er einen Zeitungsbericht aus dem Jahr 1986. Ein gewisser Peter Gent hatte den Käfer auf dem Hof eines Gebrauchtwagenhändlers gesehen und für 450 Pfund gekauft. 1999 ersteigerte das Automuseum Wolfsburg ihn für 34.160 Deutsche Mark und stellte ihn im ZeitHaus auf. Der Zeitwert lag bei lediglich 1.500 Mark, doch für einen Wagen, der John Lennon gehört haben soll, wie man in Wolfsburg glaubte, war die Volkswagen AG bereit, bis zu 50.000 Mark hinzublättern. Später gab das Museum bekannt, dass der Käfer nicht Lennon sondern einem Anwohner der Abbey Road gehört habe. Das VW-1500-Modell sei 1967 gebaut und 1968 erstmals zugelassen worden. In den 70ern habe ein Beatles-Fan es erworben, behauptete das deutschsprachige Käferblog. Wie es aus dessen Besitz in die Hände eines nichtsahnenden Billig-Gebrauchtwagenhändlers geriet, wollte Zach nicht einleuchten. Es war ihm auch gleichgültig, denn ihn interessierte der gegenwärtige Eigentümer. Jenseits von Wolfsburg verzeichnete das Web keine weiteren Besitzerwechsel. Das Nummernschild soll mehrfach gestohlen worden sein; dann verschwand das Auto aus dem Schauraum des Automuseums. Es sei ‚zur Zeit in einer Nebenhalle geparkt und für Besucher nicht zu sehen‘, diktierte man der FAZ 2009 in die Feder. Besucher der Autostadt berichteten noch 2022, dass es nicht ausgestellt sei.

Der Detektiv fand das ungewöhnlich. Da erwarb man ein Objekt der Popkultur für das Zweiundzwanzigfache des Zeitwerts und stellte es dann mehr als ein Jahrzehnt lang ins Lager? Wie kam die Kiste vor Kites Tür? Handelte es sich um eine Replik oder den Wagen aus Wolfsburg – geklaut oder gekauft? Oder war das Museum einem Betrug aufgesessen und hatte ihn deshalb aus dem Schauraum entfernt? Zach sah ein, dass die Frage der Provenienz, also wer den Wagen wann besessen hatte, keineswegs so unbedeutend war, wie er in seiner Ungeduld geglaubt hatte. Für eine entsprechende Recherche von Fahrzeugpapieren und Kaufverträgen, soweit diese überhaupt zugänglich waren, hatte er keine Zeit. Kites Besucher mochte unwichtig sein. Er stellte lediglich fest, dass er schon wieder mit einer löchrigen Story zu tun hatte, für die es alternative Erzählungen gab. Und das konnte gut und gern daran liegen, dass Abbey Road, genau wie Sgt. Peppers, mit Hinweisen auf Pauls Tod gespickt worden war – beginnend mit dem Nummernschild. Dass LMW für ‚Linda McCartney weint‘ stehen sollte, wie manche behaupteten, fand Zach unlogisch. Paul McCartney war zum Zeitpunkt des Wechsels – so er denn stattgefunden hat – mit Jane Asher verlobt. Lindas Eintritt in die Beatles-Historie erfolgte erst ein halbes Jahr später. 281F, das wegen der Schrifttype des Schilds wie 28 IF aussah, nannte angeblich das Alter Pauls, IF – wenn – er nicht verstorben wäre. Der Schönheitsfehler hieran, musste Zach feststellen, als er das Erscheinungsdatum des Abbey Road-Albums prüfte, bestand in der Tatsache, dass McCartney im September 1969 erst 27 gewesen wäre. Falls der Wagen absichtlich in den Bildausschnitt gerückt wurde, musste eine andere Erklärung für das Schild her. Überzeugender schien Zach die Überquerung des Zebrastreifens als symbolische Passage über den Fluss Styx ins Totenreich; das Trauergeleit bestand aus dem Priester, John, dem Bestatter, Ringo, dem Toten, Paul, und dem Totengräber, George.

Nur Paul rauchte einen Sargnagel, nur Paul setzte den rechten Fuß vor, nur Paul ging barfuß. All das mochte auf den ersten Blick wie vernachlässigbare, wahrscheinlich zufällige Details erscheinen, aber es zog sich wie ein roter Faden durch die Bandgeschichte, dass Paul McCartney seit 1965 auf Bildern fast immer eine Sonderstellung einnahm und dass er von Todessymbolik umgeben war. Die Häufigkeit und Regelmäßigkeit, in der dies geschah, verbot Zufälle. Man musste außerdem berücksichtigen, dass Bildaufnahmen die öffentliche Meinung über die Abgebildeten prägen sollten, und dass Albencover Aushängeschilder waren, überlegte Zach. Trotzdem hatte der Detektiv, wie die meisten Menschen, die Szene auf Abbey Road bisher als einen aus dem Leben gegriffenen Schnappschuss gehalten. Das Bild war natürlich alles andere als das. Die Beatles mussten die Straße mehrfach überqueren, bis die Optik passte. Es war ein heißer Tag im August. Drei der vier Musiker trugen Anzüge und Halbschuhe, waren also für einen festlichen oder formellen Anlass korrekt aber zu warm bekleidet – nur George, der Totengräber in seinen Jeansklamotten, nicht. Und was tat Paul überhaupt derart seltsam bekleidet – barfuß im Anzug – auf einem Fototermin? Bewusst betrachtet, mit einem gesunden Sinn fürs Praktische, erschien Zach dieses Bild mit jeder Minute bizarrer.

Komplett verrückt und unglaubwürdig wurde ihm die Sache, als er in seinen weiteren Recherchen dem Hinweis auf eine Fernsehaufzeichnung folgte, in der Sir Paul die Fotoszene erläuterte. McCartney behauptete, er sei am Tag, als das Bild aufgenommen wurde, in Sandalen, genauer gesagt, in Flip-Flops erschienen. Es sei so heiß gewesen, dass er sie ausgezogen habe. „Etwas Dämlicheres kann man unter solchen Bedingungen kaum tun“, polterte Zach. Ohne Schuhwerk brannten McCartney sicherlich die Sohlen vom erhitzten Asphalt, und das mehr als ein Mal, denn die Beatles hatten die Szene mehrfach durchspielen müssen. Dass er die Flip-Flops – oder welches Schuhwerk auch immer – am Straßenrand zurückgelassen hatte, war somit definitiv kein spontaner Akt gewesen. Warum log der Musiker in dieser nebensächlichen Angelegenheit? Die Antwort erhielt der Detektiv zwischen den Zeilen der TV-Show. Auf sein Gesicht legte sich zuerst ein ungläubiger Ausdruck. Als er den Austausch zur Gänze angesehen hatte murmelte er anerkennend:. „Du gerissener Schlawiner!“

Inzwischen war keine Rede mehr davon, seine Aufgabenliste abzuarbeiten. Er rief den Anfang des Gesprächs erneut auf und schaute es noch einmal an, um sich jedes Wort auf der Zunge zergehen zu lassen. Verdammt, war der Mann clever. Dann schaute er es nochmals an, diesmal, um Mimik und Gestik der beiden Personen in den Fokus zu nehmen. Er begann hysterisch zu lachen.


Er lachte noch immer, als seine Tochter die Treppe herabgestiegen kam. Er hing im Sessel, den Kopf zurückgeworfen, die rechte Hand auf der Brust, und wieherte, als habe er den besten Witz seines Lebens gehört.

„Was ist denn so lustig, Dad?“, fragte Veronica.

Zach rieb sich die Augen, schnappte nach Luft und versuchte, einen verständlichen Satz zu formulieren. „Haha, setzt dich. Das musst du unbedingt gesehen haben!“

„Was denn?“

Er zeigte aufs Sofa. „Setz dich.“

Veronica gehorchte. Zach ließ sich auf den Platz neben sie plumpsen und stellte den Laptop auf das Tischchen vor ihnen. Dann setzte er das Video auf den Anfang des Gesprächs zurück. „Bereit?“

„Spiel‘s endlich ab. Ich kann Aufmunterung gerade gut gebrauchen.“

Zach klickte auf den Play-Knopf. Dann lehnte er sich entspannt zurück. Veronica saß vorgebeugt daneben, die Unterarme auf die Knie gestützt.

David Letterman und ein deutlich gealterter Paul McCartney erschienen auf dem Bildschirm. Der Talkshow-Moderator sprach seinen Gast auf die End-Sechziger an, die Zeit, als Gerüchte über den Tod des Musikers aufgekommen seien, und wollte wissen, wie er sich dabei gefühlt habe.

Sir Paul sagte: „Wir sollten über den Zebrastreifen gehen. Ich bin an jenem Tag mit Sandalen aufgekreuzt; Flip-Flops. Und es war so heiß, dass ich sie ausgezogen habe und barfuß rübergegangen bin. Das hat dann zu dem Gerücht geführt, dass er tot war, weil er keine Schuhe anhatte. Ich habe den Zusammenhang nicht begriffen.“

„Scheint mir ein langsamer und schwerer Tod zu sein. Barfuß gehen kann töten“, kicherte Letterman.

„Verbrannte Füße…“ ergänzte Paul.

„Ha! Er gibt es selbst zu!“, triumphierte Zach.

„Pssst!“, zischte Veronica.

Letterman erkundigte sich bei McCartney, wie er damit umgegangen sei, denn Immerhin sei die Sache weltweit zum Gespräch geworden.

Er habe einfach darüber gelacht, antwortete Sir Paul. Es sei dennoch ein wenig seltsam gewesen, weil ihn die Leute forschend angesehen hätten, als ob sie sich fragten: „Ist er es wirklich oder nur ein sehr gutes Double?’”

“Das war die Idee dabei, der zweite Teil,“ spann Letterman den Faden weiter, „dass es da einen Kerl gab, der wie Sie aussah und Ihren Platz einnahm.”

Da zeigte Sir Paul energisch auf sich selbst und sagte: “Nun, das hier ist er.”

Die Antwort löste Gelächter beim Talkmaster und im Publikum aus. McCartney schaute sich nervös um.

“Oder er ist es nicht“, fügte Letterman nach einer Kunstpause grinsend hinzu, woraufhin Sir Paul den Finger an die Lippen legte.

Zach stoppte den Austausch, der weniger als zwei Minuten gedauert hatte, durch einen Tastendruck.

„Woah!“ stieß Veronica aus. Der Mund blieb ihr offen stehen. „Das hat er nicht wirklich gesagt, oder? Von wann stammt die Aufzeichnung?“

„Doch, hat er, und Millionen Menschen waren 2009 am Bildschirm dabei.“

„Aalglatt. Jedes Mal, wenn er den Verstorbenen erwähnt, wechselt er in die dritte Person und spricht von ‚ihm‘. Wenn man nichts Böses vermutet, klingt es, als dementiere er das Gerücht. Wenn man ihn dagegen beim Wort nimmt, bestätigt er es geradezu.“

„Hast du bemerkt, dass Letterman eingeweiht zu sein schien? Er spricht von der ‚Idee‘ von Pauls Tod und ihrem zweiten Teil, dem Doppelgänger, als sei der fliegende Wechsel in der Bandbesetzung die ganze Zeit der Plan gewesen.“

„Ja. Die beiden verstanden sich großartig. Mit dem Bekenntnis, dass er selbst der Doppelgänger sei, hat Billy dann vollends den Vogel abgeschossen. Alle fanden den Witz großartig, aber für einen Moment war ihm mulmig, dass er zu weit gegangen sein könnte.“

„Und so beendete er das Thema, als Letterman noch einen draufsetzen wollte“, schloss Zach.

Veronica nickte. „Das Handzeichen stammt aus der Freimaurerei. Natürlich benutzt es heute praktisch jeder, aber ich habe ein Gefühl, als redeten da zwei, die zum selben Club gehörten.“

„Zwei Meister, wenn du mich fragst“, sagte Zach.

„Komm, lass es uns noch einmal anschauen.“

„Mit Vergnügen!“

Er musste die Aufzeichnung weitere drei Mal zurücksetzen.

25) Jenseits von 1984

Der eiförmige weiße Kleinwagen verstopfte noch immer die Durchfahrt unter dem Vordach des Haupteingangs zum Schloss. Während Veronica wenig geschickt die Tür des GT aufzuschließen versuchte, musterte Zach das Nummernschild des Käfers erneut, da er in verschiedenen Datenbanken nach ihm zu suchen gedachte. Schließlich wurde die Beifahrertür von innen entriegelt. Während er einstieg, brauste der Motor auf. Der Sportwagen setzte zurück, bis er die Stelle erreichte, wo die beiden Äste der Zufahrt sich wieder vereinten. Dann schoss er auf Geheiß von Veronicas Stiefel aus dem Hof des Schlosses hinaus, durch den Park und den kleinen Wald bis zur Mauer. Das Tor stand offen. Ohne zu zögern lenkte die Fahrerin den orangefarbenen Blitz auf die Landstraße Richtung Liverpool.

Eine Weile sagte niemand etwas. Veronica verunsicherte die Häufigkeit, mit der sie in der letzten Zeit schockiert worden war. Zach sorgte sich wegen der dunklen Szenerie, die sich aus den neuen Informationen herauszuschälen begann. Nahm er die Million an, die Kite angeboten hatte, betrat er eindeutig kriminelle Gefilde. Der Staat kannte keine Gnade mit jenen Untertanen, die ihm Steuern vorenthielten. Für Leute vom Schlage des Wallace-Schlossherrn war der Staat keine Bedrohung; der Mann gehörte zu jener schmalen Schicht, die den Apparat ihrem Willen gefügig machten. Zach aber wurde erpressbar. Lehnte er das Geld dagegen ab, blieb er ein Außenseiter und war in Liverpool erledigt. Dann konnte er den Fab Store genau so gut schließen. Die beiden Bedingungen, die Kite für ihre Aufnahme in die Familie gestellt hatte, waren praktisch ein und dieselbe. Geschickt eingefädelt. So also wurde man Mitglied einer elitären Loge – und blieb ein Leben lang an sie gekettet. Politik, Justiz, Polizei, Handel, Industrie, Adel, Geheimdienste; schon hier in dieser aufgeblasenen Mittelstadt im englischen Abseits wurde ein holografisches Abbild der mafiösen Durchdringung sämtlicher Leitungspositionen sichtbar, an der klandestine Gruppen unermüdlich weiterwebten.

Tiefenstaat, Freimaurertum, Mafia, Regierungen, Finanzkraken und die industriellen Komplexe, von denen in sozialkritischen Zirkeln allenthalben die Rede war, stellten lediglich unterschiedlich benannte Ausschnitte ein und desselben Netzwerkes dar, das sich unter völligem Ausschluss der weit über neunzigprozentigen Mehrheit an den Gütern der Erde sowie der Arbeitskraft von Mensch, Tier und Maschine bereicherte. Wenn er die Million annahm, baute er an ihrer ‚Neuen Welt-Ordnung‘ mit, dem Projekt zur vollständigen Versklavung der Menschheit. Die meisten Menschen hielten die NWO für eine paranoide Verschwörungstheorie. Dabei machten diejenigen, die sie anstrebten, aus ihren steinernen Herzen keine Mördergrube. Wollte man sie vor Gericht ziehen, würde es an Beweisen nicht im Mindesten mangeln. Aber natürlich lagen auch die höheren Richter im selben Bett wie die niemals Anklagbaren. Letztere waren eine winzige Minderheit, der höchstens einer unter zehntausend Menschen angehörten.

Leider war es ihnen im Lauf der Jahrhunderte gelungen, die Wahrnehmung ihrer Schafherde mit größer werdendem Erfolg nach Belieben zu formen, so dass die Mehrheit die Interessen ihrer Eigentümer, der Hirten und der Schäferhunde völlig selbstverständlich für die eigenen hielt. Schlimmer noch: Sie war sich der Existenz der Eigentümer überhaupt nicht bewusst. Die, die aus glückseliger Unwissenheit erwachten, sahen sich vor eine harte Entscheidung gestellt: entweder auf die ‚Segnungen‘ der Einbettung in den Mastbetrieb zu verzichten und damit aus dem sozialen Kontext, der Herde, weitgehend herauszufallen, oder vorsätzlich Verrat an der eigenen Spezies zu begehen, indem man zugunsten seines Vorankommens andere Schafe vom Ausscheren abhielt. Wer beruflichen oder sozialen Erfolg haben wollte, beugte sich dem Druck. Die ganze Welt war eine verdammte Schaf-Farm, eingeteilt in nationale Pferche unterschiedlicher Größe.

Gehörte Kite zur Kaste der Eigentümer? Eher unwahrscheinlich‚ vermutete Zach. ‚Nutznießer‘ hatte auf der Visitenkarte des Schlossherrn gestanden. Seine Familie musste relativ weit oben bei den Schäfern rangieren. Als Nachkomme von William Braveheart Wallace in der dreißigsten Generation hatte er alten schottischen Adel beansprucht. Er hatte von seinem ‚Großvater und den verbliebenen drei Beatles‘ gesprochen, behauptete also, der Enkel Sir Pauls, genauer gesagt von Billy Shears alias William Shepherd zu sein. Shepherd, der Schäfer. Namen waren nicht immer Schall und Rauch.

„Dad?“

Zach schrak aus seinen Gedanken auf. Durch die Windschutzscheibe sah er die ersten Häuser am Stadtrand von Liverpool. Die Landschaft war vor seinen offenen Augen an ihm vorbeigezogen, ohne dass er sie wahrgenommen hatte. „Ja, was gibt‘s, Kiddo?“, fragte er zurück.

„Wer ist dieser Maxwell Knight?“

„Wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, war er der Leiter des MI-5, Inlandsgeheimdienst ihrer Majestät, der Königin von England. Man sagt, er sei das Vorbild für die M-Personalie in den James-Bond-Filmen gewesen. Wie es scheint, haben ihn auch die Beatles in einem Song verewigt.“

„Glaubst du, dass der alte Knacker auf dem Foto Paul McCartney diesen Hammer über den Schädel ziehen konnte?“

„Das halte ich für den am wenigsten wahrscheinlichen Hergang – es sei denn, er hatte Helfer, die Paul festhielten. Der mochte vom Unfall noch benommen gewesen sein, aber er war ein junger, kräftiger Mann von Mitte Zwanzig.“ Zach grübelte ein paar Augenblicke, bevor er weitersprach. „Ich werde mir immer unsicherer, was von all den… Fakten… überhaupt mit der Wirklichkeit Verbindung hat. In gewissem Sinne befinden wir uns vierzig Jahre jenseits von 1984. Das Wahrheitsministerium veränderte die Geschichtsschreibung zwar fortlaufend, aber es gab in Orwells Roman zu jedem Zeitpunkt nur eine gültige Version davon. Das war das Fundament der Herrschaft der Partei. In unserer Welt dagegen gibt es so viele nebeneinander stehende Wahrnehmungen und übereinander liegende Schichten der Realität, dass niemand sagen kann, was tatsächlich geschah.“

„Ja. Nach allem, was wir wissen, sagt keine Quelle ‚die Wahrheit, die ganze Wahrheit, und nichts als die Wahrheit‘. Gibt es sie überhaupt?“

„Sicher, und mit dem passenden geistigen Werkzeug lässt sie sich oft auch finden. Das beinhaltet, dass du neben den Medien auch deiner eigenen Wahrnehmung misstrauen musst, weil sie von dem Ozean an Unwissen, Filtern, Linsen, Falschinformationen, dysfunktionalen Denkmustern und mangelnder Weisheit geprägt wird, in dem wir alle schwimmen. Wenn du es allerdings in unbedarfter Weise, ohne das Werkzeug versuchst, wirst du paranoid. Dann rennst du dir in einem Irrgarten das Hirn blutig, dessen Wände aus Propaganda, Einbildung und Verschwörungstheorien gebaut sind. So kann man nicht leben.“

Veronica gluckste, als habe sie einen besonders fiesen Witz gehört. „Das erinnert mich an ein Zitat von Robert Anton Wilson aus der Einleitung zu seinem Buch Das Lexikon der Verschwörungstheorien. Er beschreibt so ungefähr, was du gerade erläutert hast, und kommt zu dem Schluss, dass Hunde wahrscheinlich die einzigen Leute sind, die dem Menschen überhaupt noch trauen, aber ihm sei aufgefallen, dass selbst die Hunde neuerdings Zweifel hegten.“

Ihr Vater warf den Kopf zurück und lachte lauthals. Veronica fiel mit ein. Es war wieder so weit: Sie sahen die Absurdität der Welt beide zugleich in völliger Klarheit. Der Kaiser war splitterfasernackt, eine Witzfigur mit Hühnerbrust, O-Beinen und einem winzig kleinen Schniedel. Sie steuerte den GT an den Straßenrand, damit sie sich in aller Hysterie ausschütten konnten. Humor befreite die belagerte Seele.


In den Rainford Gardens angekommen stieg Veronica zielstrebig die Treppen hinauf. Ein Gedanke ging ihr im Kopf herum, den sie am Tisch in Onkel Pauls Studierzimmer zu verifizieren suchte. Die Geschwindigkeit, in der der Rechner betriebsbereit war, überraschte sie noch immer, aber sie ließ sich nicht ablenken. Sie rief Quellen zu Freimaurerei und Numerologie auf, um einen Überblick zu bekommen. Die Darstellungen verwirrten sie mehr, als dass sie Orientierung gaben. Manche beschrieben die Freimaurer als einen Club schrulliger Männer, die Geld für wohltätige Zwecke sammelten und alten Damen über die Straße halfen. Andere stellten sie als sinistre Geheimniskrämer dar, die Regierungen und sonstige mächtige Organisationen unterwanderten. Wieder andere sahen in ihnen Diener Satans, die kleine Kinder in schwarzen Messen opferten. Sie waren in Orden beziehungsweise Logen organisiert, aber sie fand daneben zahlreiche Gruppen und Körperschaften, denen nachgesagt wurde, sie seien freimaurerische Frontorganisationen.

Sie suchte nach einer Verbindung zu den Beatles, wurde mit Treffern überschüttet, fand jedoch wenig, das konkrete Hinweise auf eine Mitgliedschaft gab. Freimaurersymbolik zog sich jedoch in auffälliger Häufigkeit unverhohlen von den frühesten Tagen bis zur Gegenwart durch. Albencover und Fotos waren regelrecht gespickt damit. Immer wieder tauchten außerdem Verbindungen zu Ordensgründer Aleister Crowley auf. Als sie entdeckte, dass er gleich zwei Mal auf dem Titelbild des Sgt.-Peppers-Albums vertreten war, stieß sie halb amüsiert, halb beunruhigt Luft durch die Nase aus. Dieses Ding schien wirklich der Dreh- und Angelpunkt in der ganzen Beatles-Geschichte zu sein.

Dann probierte sie, den Einstieg über die Numerologie zu erhalten, doch auch hier kam sie nicht weiter. Es gab verschiedene Systeme in verschiedenen Kulturen, die sich teilweise überlappten. Eng damit verbunden waren Kabbalistik, Astrologie, Tarot, Okkultismus und natürlich das Freimaurertum. Die Sache schien ihr alles andere als trivial. Ohne konkrete Anhaltspunkte würde sie Monate brauchen, sich tief genug einzuarbeiten.

Sie überlegte. Es forderte Überwindung, die Nachforschungen aufzunehmen, die sie nun in Angriff nahm. Veronica vermutete hier den direktesten Zugang zu der Frage, die sie beschäftigte: War der Wechsel geplant gewesen, und wenn ja, weshalb? Erst gestern hatte Maria sie mehrfach erwähnt, dass es im Grunde – besonders bei den Freimaurern – keine Zufälle gab. Sie hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, ein Todesfall am 11.9. mache eine rituelle Opferung höchst wahrscheinlich; auch Billy Shears habe das in den Raum gestellt. Trotzdem war sie durch die Worte Mr Kites heute wie von einem Hammerschlag getroffen worden: „John und Paul hatten einen faustischen Handel abgeschlossen, und Paul hat den Preis dafür gezahlt.“

Die Detektivin holte tief Luft. Zunächst musste sie das Feld abstecken. Um was ging es konkret? Was verstand man unter einem ‚faustischen Handel‘? Die Suchmaschinentreffer lieferten mehrere alternative Bezeichnungen zu ihrem Suchbegriff, darunter ‚faustischer Pakt‘ und ‚Teufelspakt‘. Sie überflog natürlich den Wikipedia-Artikel. Auch die vierte Szene aus Goethes Drama Faust stand weit oben in der Liste. Veronica las ihn sorgfältiger. Faust, ein Mann von großer Neugier und noch größerem Ehrgeiz, geplagt jedoch von allerlei Ängsten, entsagt Gott, von dem er sich verlassen fühlt. Er verschreibt seine Seele dem Teufel, der in Gestalt des Dämons Mephistopheles in sein Haus eingedrungen ist und ihm verspricht:

Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, / Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; / Wenn wir uns drüben wiederfinden, / So sollst du mir das gleiche tun.

Veronica glaubte nicht an den Teufel. Sie vermutete in ihm einen Buhmann, den man benutzte, um Kindern Wohlverhalten beizubringen oder Narren die Furcht zu lehren. Trotzdem lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, als sie die Zeilen las. Goethes detailversessene Beobachtungsgabe der menschlichen Psyche verdankte das Werk seine bleibende Faszinationskraft über zwei Jahrhunderte hinweg. Hatte er den Teufel für wirklich gehalten? Oder war Mephisto lediglich eine allegorische Figur, ein Symbol für… was?

Ihr fiel auf, dass Mephisto Fausts Seele forderte, nicht sein Leben. Das mochte eine vielleicht entscheidende Differenz zum Fall McCartney darstellen. Mephisto konnte warten, denn egal, wie viele Jahre Faust am Leben blieb, gegen die Ewigkeit des Jenseits blieben sie verschwindend gering. Die Mörder Pauls schienen es dagegen eilig gehabt zu haben. Das Opfer durfte nur 24 Jahre alt werden. Veronica fütterte die Suchmaschine nun mit Beatles & Faust, dann mit Beatles & Teufelspakt. Sie stieß auf einen Artikel, der sie regelrecht elektrisierte. Mit einer Deutlichkeit, die kaum zu wünschen übrig ließ, legte er John Lennon die Worte in den Mund: „Ich habe meine Seele an den Teufel verkauft“. Als Quelle gab er ‚Joseph Niezgoda‘ an.

Es dauerte nur Sekunden, bevor sie auf eine ausführlichere Referenz stieß: The Lennon Prophecy, ein Buch, das „eine Neuprüfung der Todeshinweise bei den Beatles“ vornahm. Das musste eigentlich im Bestand des Ladens oder einer der beiden Hausbibliotheken vorhanden sein. Sie schaute sich im Raum um. Wo war die Musikabteilung? Ah, dort drüben. Sie ging ans Regal, überflog die Titel auf den Buchrücken und hatte den zweihundertseitigen Band schnell gefunden. Sie hoffte, dass er ein Register besaß – Uff! Glück gehabt. Die Zahl der Verweise auf Teufel, Satan und Faust war hoch, doch sie hatte erneut Glück. Bereits einer der ersten Indexeinträge, die sie nachschlug, führte sie zum Zitat. Laut Niezgoda hatte John Lennon es Mitte der 1960er auf dem Höhepunkt der Beatlemania seinem Freund Tony Sheridan gegenüber geäußert. Der Autor gab sogar eine Quelle an: Ray Colemans Definitive Lennon-Biografie, Seite 348. Die reinste Schnitzeljagd! Stünde die Bibliothek ihres Onkels nicht in Griffweite, könnte eine saubere Recherche Tage oder Wochen dauern. Sie stellte den Niezgoda zurück an seinen Platz und überflog die Buchrücken erneut.

Da! Sie zog den Coleman heraus, schlug die angegebene Seite auf, und… konnte das Zitat nicht finden. Sie las die gesamte Seite mehrfach, überflog auch den Text davor und danach – nichts! Und nun? Hatte Niezgoda fantasiert? Sie prüfte das Impressum des Buchs. Nach einer Weile bemerkte sie endlich, dass sie die Ausgabe eines anderen Verlages in Händen hielt. Nun warf sie einen Blick ins Register; der Verweis dort führte sie zu einer gänzlich anderen Seitennummer, aber hier war es: Um den unglaublichen Erfolg seiner Band zu erklären, sagte John zu Tony: „Ich habe meine Seele an den Teufel verkauft.“ Er solle den Satz angeblich nur nebenbei geäußert haben, aber Tony habe sofort verstanden, was John meinte. Woher das Zitat stammte, gab Coleman nicht an. Aus Aussagen an anderer Stelle wurde klar, dass der Autor den Beatles häufig persönlich begegnet war, und so konnte Veronica nur vermuten, dass Coleman als Ohrenzeuge berichtete. Der sechszeilige Absatz, der die Begebenheit beschrieb, stand darüber hinaus in keiner Kontinuität mit den umliegenden Teilen des Kapitels, in dem es um ‚Geld‘ ging. Ob John Lennon den Teufel aus Jux, im übertragenen Sinn oder im Ernst erwähnte, ließ sich so nicht feststellen. Nur im Zusammenhang mit den anderen Indizien trug der isolierte Datenpunkt zum Entstehen eines Bildes bei. Dass zahlreiche weitere Musiker und Schauspieler von Bob Dylan über Jimmy Page, James Hetfield und Katie Perry bis Eminem teils in identischen Worten die Quelle ihres Erfolges benannten, wie Veronica herausfand, verlieh John Lennons Zitat jedoch ein höheres Gewicht.

In Gedanken versunken saß sie im Pilotensmöbel an Pauls Arbeitstisch und überlegte, wie sie weiter vorgehen sollte. Da vernahm sie eine Stimme aus dem unteren Stockwerk, deren fröhlicher Klang ihr Gefühl von Bedrückung zu verspotten schien. Daher verstand sie zunächst nicht, was sie hörte. Als sie sich auf das Geräusch konzentrierte, drang schließlich zu ihr durch, dass jemand lachte; völlig hysterisch lachte.

24) Maxwells Silberhammer

„Mr Ziegler,“ fuhr Kite fort, „vielleicht können Sie mir in Ihrer Eigenschaft als Detektiv behilflich sein.“

Zach schaute erstaunt auf.

„Natürlich habe ich Erkundigungen über Sie eingezogen. Wer kauft schon gern die Katze im Sack?“

„Leute, die Manuskripte in Koffern erwerben?“, flachste Veronica.

„Erkundigungen, soso“, sagte Zach. „Nun, es kommt darauf an, wie der Fall beschaffen ist. Worum geht es und was erwarten Sie von mir?“

„Es geht um ein verschwundenes Dokument.“

„Ich bin nicht sicher, dass wir schon jetzt bereit sind, Memorabilien aufzu…“

„Es handelt sich um eine Fotografie, die mir im Verlauf eines unserer Familientreffen entwendet wurde; vermutlich ein Scherz, der die Grenzen des Zulässigen überschritt und sich daher kaum von allein in Wohlgefallen auflösen wird. Der Kreis der primär Verdächtigen besteht somit aus den Personen, die ich zuvor aufgezählt habe. Ziehen Sie Erkundigungen ein und beschaffen Sie entweder das Foto oder einen dienlichen Hinweis.“

Zach ging die Liste im Geist durch. „Einschließlich Ihnen bestand die Familie bis zum Tod meines Stiefbruders aus zehn Personen, korrekt?“

„Richtig. Ihn und mich können wir ausschließen, also bleiben acht.“

„Wen wir ausschließen können, müssen Sie mir überlassen, andernfalls lehne ich den Auftrag ab. Ich brauche außerdem weitere Informationen: Von welchem Ort, welchem Datum, welchem Zeitfenster, welchem Fotomotiv reden wir? Worin bestanden die Sicherheitsvorkehrungen für das Objekt und wie wurden diese überwunden?“

Der Hüne schwieg einen Moment. Er zog eine Grimasse, kratzte sich mit einem perfekt manikürten Finger an der Nase, dann antwortete er: „Sie werden keine Ermittlungen gegen mich durchführen. PC31 scheidet aus, weil die Tat in genau jener Nacht geschah, als er gestorben ist. Ich hatte anlässlich des Sucherfolgs kurzfristig ein Treffen hier im Schloss anberaumt. Er sollte den Koffer mitbringen, aber er traf nie ein. Wir zeigten uns gegenseitig einige andere Stücke, die wir in der letzten Zeit erworben haben, darunter auch das Foto – ein Motiv aus der Pathologie, das normalerweise in einem Safe aufbewahrt wird; mehr möchte ich darüber nicht sagen. Aus der geplanten Feier entwickelte sich ein weintrunkenes Fest, das bis in die frühen Morgenstunden dauerte. Kurz nach ein Uhr begaben Kirk und ich uns nach oben. Als ich gegen zehn Uhr wieder erwachte, waren bis auf Kirk alle Gäste und das Foto verschwunden.“

„Kirk?“

„Die Duchess of Kirkcaldy.“

„Ach ja. Wenn ich die Lage recht einschätze, werden Sie vermutlich auch zu den Vorgängen da ‚oben‘ keine näheren Angabe machen wollen.“

„Wie genau müssen Sie es wissen?“

„Vergessen Sie‘s. Ich komme vielleicht darauf zurück, falls die Ermittlungen steckenbleiben. Was ist Ihnen meine Arbeit wert?“

„Berechnen Sie Ihren üblichen Satz. Falls es mit Ihrer Hilfe gelingt, das Foto zurückzuholen, verdoppelt das Ihr Gehalt.“

Zach und Veronica verständigten sich wortlos. Dann reichte der Detektiv Kite die Hand und sagte: „Einverstanden. Ich halte Sie wöchentlich auf dem Laufenden.“

„Täglich. Geben Sie dem höchste Priorität. Ich erwarte, dass die Frage in einer Woche vom Tisch ist.“

„Wie Sie wünschen.“

Der Schlossherr zeigte einen zufriedenen Gesichtsausdruck. Er hob sein letztes noch gefülltes Saftglas. „Auf Ihr Wohl.“

Veronica und Zach prosteten zurück. „Auf Ihres.“

Kite erhob sich. „Lassen Sie uns zur Feier des Tages Ihren Wunsch erfüllen. Folgen Sie mir.“

Er führte sie zurück durch den Salon mit dem fünfeckigen Tisch und den schwarzen Sesseln bis zur Tür neben dem gegenüberliegenden Kamin. Sie traten hindurch. Der Grundriss des Saals entsprach dem des Speisesalons, allerdings wurde dieser hier als Bibliothek genutzt. „Fühlen Sie sich wie zuhause“, sagte Kite. Seine linke Hand wies im Halbkreis in den Raum. „Ich bin in zwei Minuten wieder bei Ihnen.“ Er verließ sie durch eine weitere Nebentür am anderen Ende. Zach und Veronica ignorierten den Drang, das während des Essens Gehörte zu diskutieren oder auch nur die Backen zu blähen. Sie mussten davon ausgehen, dass hier, genau wie nebenan, irgendwelche Instrumente auf sie gerichtet waren. Die beiden musterten Boden, Wände und Decken in gespielt gelangweilter Haltung, gaben vor, einmal dieses Gemälde, einmal jenes Buch genauer zu inspizieren.

Ohne besondere Eile schlenderte Zach zu einem Stück hinüber, das an einer Holzvertäfelung zwischen zwei Bücherschränken befestigt war. Er hatte die Form wiedererkannt, ohne sie gleich zuordnen zu können. Das Ding sah aus wie eine mittelalterliche Streitaxt oder eine Art Hellebarde. Am oberen Ende eines armlangen Stiels war ein kreuzförmiges Werkzeug montiert. Eine Seite, kegelförmig, nahm den sich leicht verjüngenden Stiel auf, der linke Flügel bestand aus einem spitzen, handlangen Dorn; oben lief das Objekt in einer dolchartigen Spitze zu. Statt einer Axt formte der rechte Flügel einen Hammer mit gespreizten Ecken. Die Flügel des Kreuzes waren an einem Würfel befestigt, der, wie der Rest der Waffe, wahrscheinlich aus Silber oder versilbertem Metall bestand. Der Stiel war aus einem edlen Rotholz gefertigt – keine Kriegswaffe, sondern für zeremonielle oder symbolische Zwecke gefertigt. Sie sah gefährlich genug aus. Doch wer mochte wissen, welche Schäden man mit einem ernst gemeinten Äquivalent anrichten konnte?

Zachs Blick glitt an dem Ausstellungsstück hinunter. Rechts unterhalb, etwa auf Höhe seiner Schultern, befand sich eine gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie. Sie zeigte ein Motiv, das er schon einmal gesehen hatte – in einem anderen Wartezimmer, nur wenige Tage zuvor. Nach all den verstörenden Informationen, die er seither aufgenommen hatte, kam es ihm wie ein halbes Leben entfernt vor. Ein formell gekleideter älterer Herr hielt eine auf ein Samtkissen gebettete historische Waffe, vielleicht eine Streitaxt oder einen Kriegshammer. Ihm gegenüber stand John Lennon mit hängenden Schultern, sichtlich übernächtigt. Bei näherer Betrachtung konnte es sich um dasselbe Objekt handeln, das über dem Bild hing. Es war sogar wahrscheinlich, andernfalls ergab die Kombination aus Foto und Ausstellungsstück keinen Sinn. Seine Überlegungen bestätigte die dezente Texttafel, die links, gegenüber dem Foto, unterhalb der Waffe angebracht war. Auf ihr stand:

„Sir Maxwell Knight übergibt John Lennon den McCartney- biétl. 9. November 1966“

Zachs Kinnlade fiel nach unten.

„Faszinierend, nicht wahr?“, ertönte hinter seiner linken Schulter die Hyänenstimme des Schlossherrn.

Der Detektiv zuckte zusammen. Er drehte sich um und trat einen Schritt zur Seite. Sein rechter Zeigefinger deutete auf den Hammer. „Was, zur Hölle, ist das da?“

Kite setzte ein sardonisches Lächeln auf. „Wie die Inschrift angibt, handelt es sich um einen biétl. Das Wort entstammt dem Altenglischen und bezeichnet einen Hammer; in diesem Fall ein rituelles Objekt, das für Beatles-Sammler mit okkultem Wissen um die Band so etwas wie den heiligen Gral darstellt. Ist Ihnen das Datum aufgefallen?“

„Neunter November – 9/11. Wollen Sie andeuten, die Waffe stünde im Zusammenhang mit McCartneys Ableben? Ich dachte, er sei bei einem Autounfall am 11.9.1966 gestorben?“

„So geht die Rede. Sie geben die offizielle Version der Beatles-Geschichte für diejenigen wieder, die Gründe haben, der für die breite Masse publizierten offiziellen Geschichte keinen Glauben zu schenken. Die Kombination aus elf und neun hat numerologisch eine ganz besondere Bedeutung. Wenn Sie die Weltgeschichte daraufhin abklopfen, werden Sie in ihrem Zusammenhang zahlreiche der wichtigsten Ereignisse stattfinden sehen: Am 9.11.1918 die Revolution gegen den deutschen Kaiser, die den Krieg zugunsten der Alliierten beendete, selbigen Tags 1989 die Öffnung der Berliner Mauer, die für den Fall der kommunistischen Regime in Osteuropa von besonderer Bedeutung war; am 11.9.1973 begann mit dem Putsch General Pinochets gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende die Übernahme der Welt durch den Neoliberalismus. Dies nur, um ein paar der bekannteren Beispiele zu nennen.“

„Wie kommt ein dem gegenüber unbedeutender Musiker ins Spiel?“, fragte Veronica, die sich den beiden zugesellt hatte.

„Der beliebteste Musiker innerhalb der erfolgreichsten Musikgruppe der Welt“, verbesserte Kite, „und damit ein wesentliches Element in der Transformation familienbasierter Nationen zu den Ansammlungen hyper-individualistischer Atome, wie wir sie heute kennen. Die zersetzende Wirkung der Rockmusik, allen voran die der Beatles und der Stones, auf herkömmliche Moralvorstellungen wird selbst von ihren ärgsten Kritikern gern unterschätzt. Diese Bands propagierten die Lockerung der Sexualmoral, untergruben den Glauben an Gott und staatliche Institutionen, popularisierten den Missbrauch von Hasch und LSD, bagatellisierten Satanismus, pulverisierten jede klare Vorstellung davon, was Ethik, Philosophie oder Kunst zu leisten hatten, und sie beeinflussten ein Milliardenpublikum. Paul McCartney verdiente es, Luzifer an jenem besonderen September-Datum übergeben zu werden.“

„Also gab es keinen Unfall“, schloss Zach. „Er wurde ganz einfach erschlagen.“

„Formulieren wir es so: Wenn es um historische Daten geht, überlässt man nichts dem Zufall. Maxwells Silberhammer sorgte dafür, dass Paul wie vorgesehen starb.“

Veronica drehte den Kopf der Waffe zu und verzog angeekelt das Gesicht. „Ich glaub‘, ich kotz‘ gleich!“, nuschelte sie fast unhörbar.

„Max Knight übergab das gute Stück, desinfiziert und von allen Spuren gereinigt, zwei Monate später an John… als Andenken beziehungsweise als Warnung. Aber wer weiß: Vielleicht ist auch dies nur eine wohlfeile Geschichte, eine Fassade vor einer Fassade vor einer Fassade… Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was Sie sehen wollten.“

Kite legte den dicken Lederordner, den er in der Hand gehalten hatte, zwei Regalabteile entfernt auf ein Lesepult. Er schlug ihn an einer mit einer Seidenschleife markierten Stelle auf, ungefähr nach einem Drittel der Seiten. „Nicht anfassen! Lesen Sie gern langsam, sorgfältig, aber Sie werden keine weitere Seite zu Gesicht bekommen. Faksimiles dieser Textstelle kann man an mehreren Adressen im Internet finden, wenn man weiß, wonach man sucht. Es sollte Beweis genug sein, dass wir das Original vor uns haben.“

Zach trat näher. Die Seite war einseitig eng mit Schreibmaschinenschrift bedeckt. Er schätzte den Text auf etwa fünfhundert Wörter. Das Papier war fleckig und vergilbt. Am breiten oberen Rand trug es von Hand aufgetragen die Inschrift ‚146 –‘. Mehr als ein Drittel der Zeilen umrahmte eine Linie. Das von ihr gebildete Feld war doppelt durchgestrichen. Weitere Ergänzungen und Streichungen in Handschrift verliehen der Seite den Entwurfscharakter, den man von einem Buchmanuskript erwartete.

Der Detektiv begann zu lesen: Ein gewisser George Kelly und seine Frau seien wegen etwas, das Evans ihnen im Auftrag von Brian – Epstein? – sagte, unglücklich und verließen Cavendish. Am folgenden Tag sei Paul eingetroffen; alle seien zugegen gewesen – es folgte eine Liste von Vornamen – und seien erstaunt und aufgeregt gewesen… ‚Sie haben in Nairobi ganze Arbeit geleistet‘, las er, ‚Nun ging es also wirklich los. Es fühlte sich an, als ob wir ihn schon immer gekannt hätten.‘ Darauf folgte das durchgestrichene Feld von circa zwanzig Zeilen, in dem von weiteren Reaktionen der Anwesenden berichtet wurde. Unter anderem ging es um Strawberry Fields Forever, das John ihm, später wohl, rückwärts vorgespielt hatte. ‚Welch eine Art, eine Geschichte zu erzählen‘, begeisterte Evans sich.

Dem durchgestrichenen Feld folgten zuletzt sieben Zeilen. Hier erwähnte er eine Klinik in Kenia, zu der er Paul begleitet habe, und dass dieser nun einen falschen Oberlippenbart brauche. Dann brach der Text mitten im Satz ab, um auf der folgenden Seite seine Fortsetzung zu finden. Ohne nachzudenken hob Zach die Hand, um umzublättern. Sanft drückte der Hüne seinen Arm nieder.

„Das sollte Motivation genug sein, den Fab Store wieder zu eröffnen, Mr Ziegler. Nehmen Sie mein Angebot an; eine Million Pfund, bar, steuerfrei.“ Kite schaute ihm eindringlich ins Gesicht. „Kommen Sie, Sie haben heute enorm viel Neues erfahren. Lassen Sie uns in ein oder zwei Wochen wieder treffen, wenn Sie alles verarbeitet haben. Dann wissen wir außerdem mehr, was aus dem verschwundenen Foto geworden ist.“ Er legte Zach eine Hand in den Rücken und führte ihn sanft zur Haupttür in der Mitte der langen Seite des Saals. Der Detektiv, erschüttert, leistete keinen Widerstand.

20) Der letzte Beatle

Nachdem die Italienerin das Hinterzimmer gereinigt hatte, stieg sie die Treppen hinauf, um die Wohnung zu putzen. In der Küche traf sie Veronica, die mit einer Tasse Tee am Tisch saß. Sie entschuldigte sich für die Störung und teilte ihr mit, dass sie ihre Arbeit in den anderen Zimmern fortsetzen würde. Veronica schüttelte jedoch den Kopf und lud sie ein, sich zu ihr zu setzen. „Möchten Sie auch einen Darjeeling?“, fragte sie. Sie machte Anstalten, sich zu erheben, um eine Tasse aus dem Schrank zu nehmen.

„Bleiben Sie sitzen, Veronica.“ Maria öffnete das Fach mit den Gläsern und Tassen und nahm einen der Humpen heraus. Der zeigte eine Karikatur von Ringo; darunter stand: ‚Der letzte Beatle.‘ „Meine“, sagte sie, und als die Detektivin sie erstaunt ansah, ergänzte sie: „Ihr Onkel und ich verstanden uns sehr gut…“ Sie schien die Worte im Geiste auf ihre Wirkung zu prüfen. „Ich war jeden Tag zum Putzen hier. Wir diskutierten manchmal stundenlang über mögliche Suchwege, um ein Objekt wiederzufinden – oft genug genau hier, an diesem Tisch.“

Ein mitfühlender Ausdruck legte sich auf Veronicas Gesicht. „Die eigene Tasse am Arbeitsplatz aufzubewahren stellt kein Verbrechen dar.“ Sie schenkte Tee in den Ringo-Humpen. „Sie vermissen ihn, hm?“

Maria Borghese schloss ihre Finger um das sich erhitzende Gefäß. Sie nickte, sagte jedoch nichts weiter. Die beiden Frauen nippten eine Weile still an ihren Tassen. Schließlich begann die Italienerin: „Ich war ungefähr in Ihrem Alter, Anfang zwanzig. Ich hatte eine Tochter, gerade ein Jahr, und einen Freund, den ich heiraten wollte. Er stammte von der Alb. Wir studierten in Tübingen, er Medizin, ich Bibliothekswesen. Seine Familie gab mir ständig das Gefühl, dass ich als Katholikin und Gastarbeiterkind nicht dazugehörte. Die Leute beschweren sich, dass die Katholische Kirche fürchterlich altmodisch sei, und da ist ja auch etwas dran; aber im Vergleich zur Engstirnigkeit vieler Protestanten in Deutschland verhalten sich italienische Katholiken geradezu liberal. Ich hielt es nur mit Mühe aus und wollte fort, aber ich blieb, um mein Studium abzuschließen, und natürlich meinem Freund zuliebe. Mit der Zeit wurde mir klar, dass er es vermied, über unsere gemeinsame Zukunft zu sprechen. Er wich ganz besonders der Erörterung unserer Hochzeit aus. Irgendwann stellte ich ihn zur Rede. Er gestand mir, dass seine Eltern gegen mich eingestellt waren und dass er einfach unsere formlose Freundschaft weiterführen wollte. Ich sagte, dass ich das unserer Tochter gegenüber nicht fair fand. Ich hatte eine Stelle bei einem Dokumentationsprojekt in Liverpool in Aussicht; also schlug ich vor, wir könnten nach England gehen, er könnte sein Studium dort abschließen, und dann könnten wir heiraten.“

Die Italienerin betrachtete eine Weile ihr schaukelndes Spiegelbild im Tee. Dann schaute sie auf. „Er weigerte sich. Also habe ich einfach meine Sachen gepackt und bin abgereist. Ich nahm die Stelle bei dem Projekt an; sie stellten ein Buch zur Geschichte populärer Musik in Liverpool zusammen. Ich war verantwortlich für die Bibliografie. Ich produzierte eine Liste von Zeitschriftenartikeln für sie, die, glaube ich, ihresgleichen suchte, doch leider zerstritten sich die Projektleiter, bevor das Werk veröffentlicht werden konnte. Eines Tages erhielt ich den Kündigungsbrief, aber der Beatles-Virus hatte mich längst befallen. Die Widersprüche in der offiziellen Story faszinierten mich über alle Maßen, also begann ich, mich tiefer in die Bandgeschichte einzulesen. Die meisten Buchautoren schwelgten in kritikloser Heldenverehrung. Das Internet befand sich gerade erst im Entstehen. Da war ebenfalls nur wenig zu finden – oftmals von mehr Enthusiasmus als von Sachkenntnis getragen. Also suchte ich nach Zeitzeugen.“

Maria nahm einen Schluck aus ihrer Tasse, hob den Blick zur Decke. Sie fort: „Auch da stieß ich überwiegend auf Menschen, die die Beatles auf ein Podest stellten oder gar zu Göttern der Rockmusik erhoben, aber es gab ein paar, deren Erinnerungen mir reflektierter schienen. Langsam formte sich ein Bild, das die Sechzigerjahre in einem weniger verklärten Licht zeichnete. Ich begann zu verstehen, dass Musik auf dieselbe Weise zum Showbiz gehört wie die Schauspielerei. Das gilt bis heute. Es kommt auf die vermittelte Attitüde an. Die weit überwiegende Zahl der Gruppen und Solomusiker erhielten ihre Verträge mit den Labels für ihr Aussehen und ihr Auftreten, nicht für ihre Qualitäten als Songschreiber oder Künstler. Die Firmen heuerten damals professionelle Songschreiber und Sessionmusiker an, um Platten aufzunehmen. Alle Profis aus der Zeit bestätigten, dass die wenigsten Major-Bands auf ihren eigenen Alben spielten. Hinter den meisten großen Namen der Sechziger und Siebziger standen Studioorchester wie die Wrecking Crew oder Mietmusiker wie der Trommler Bernard Purdie, der behauptet, auf über 20 Stücken der Beatles zu spielen. Ringo Starr sei an den ersten Alben der Band überhaupt nicht beteiligt gewesen.“

„Sie meinen, die Beatles waren vom ersten Tag an fake?“

„Ein hartes Wort. Innerhalb der Szene war das Musikdarstellertum keine Schande sondern der Normalfall. Die Masse der Konsumenten verlangte nach dem schönen Schein, nach Vielfalt der Stile und Ausdrucksformen. Sie identifizierten sich mit Elvis, Fats Domino, den Beatles oder Aretha Franklin, aber letztlich hörten sie immer wieder dieselben Musiker in stets neuer Verpackung. Die Hülle einer Schallplatte erfüllt genau die Funktion, die das Wort ‚Cover‘ benennt: Sie verdeckt den realen Produktionsprozess und bemäntelt ihn mit einem ‚Image‘, einer Scheinwirklichkeit.“

Veronica seufzte. „Das hat also funktioniert wie in der Politik. Wer blühende Landschaften verspricht, wird gewählt. Wer wahrheitsgemäß berichtet, wie‘s aussieht, landet im Abseits.“

„Der Sturz der Monkees war für die gesamte Szene eine Warnung, den Schein des begnadeten Talents unter allen Umständen zu wahren. Purdie erwähnte, dass er nicht nur für seine handwerklichen Dienste fürstlich entlohnt worden sei sondern auch für sein Schweigen.“

„Okay, aber was die Beatles von den anderen unterschied, war vor allem ihre Fähigkeit, tolle Songs zu schreiben, die selbst fünfzig bis sechzig Jahren später noch die Menschen begeistern. Bis heute sagen viele Bands, dass die Pilzköpfe sie am meisten beeinflusst hätten.“

„Als Ihr Onkel Paul Anfang der 2000er in Liverpool ankam und seinen Laden eröffnete, freundete ich mich sofort mit ihm an. Im Gegensatz zu diesen ganzen Andenkenläden und Rockschuppen im Cavern-Viertel, die die Idolverehrung ihrer touristischen Kundschaft bedienen, folgte er einem völlig anderen Konzept. Er wollte wissen, was damals wirklich geschah, denn das eröffnete ihm neue Fährten, die verloren geglaubte Unikate wieder zutage fördern halfen. Die Pädophilie-Affäre in der BBC hatte seinen Blick für die dunklen Ecken der Musikindustrie geschärft. An der Behauptung, jemand könne ein ganzes Album mit über einem Dutzend Stücken in ein paar Stunden rundfunkreif einspielen, hegte er schon immer seine Zweifel. Er wusste, wie viel Arbeit es kostete, professionell klingende Arrangements zu erzeugen. Den Nachweis, dass es sich bei der offiziellen Story von den angeblich genialen Beatles nur um eine Schneewittchengeschichte handelt, lieferten jedoch andere, und erst sehr viel später. Ein gewisser Mike Williams nahm die Chronologie der Aufnahmen für das Album Rubber Soul auseinander. Die Behauptung, die Beatles hätten sechzehn Songs in 30 Tagen geschrieben, eingeübt, eingespielt, gemischt und produziert, ist seiner Erfahrung als Musiker zufolge völlig unglaubwürdig. Technisch unmöglich wird die Geschichte, wenn man bedenkt, dass für die Veröffentlichung lediglich drei weitere Wochen zur Verfügung standen. Das war nur machbar, wenn außer dem Pressen und Verpacken der Vinylscheiben nichts mehr zu tun blieb. Das hieß, die Labels und das Cover mussten fertig gedruckt sein, und das setzte voraus, dass die Titel der Songs, ihre Spiellänge und Anordnung bekannt waren – Wochen oder Monate bevor die Beatles, angeblich mit leeren Händen, ins Studio gingen.“

„Häh?“ Veronica schüttelte den Kopf. „Wer spielt dann auf dem Album? Und wenn alles Fake ist, wieso überhaupt ins Studio gehen? Warum gibt man nicht von vorn herein eine glaubwürdigere Chronologie an?“

„Die Beatles nahmen 1965 das Album Help! auf, gingen auf Tour, und standen für einen Film vor der Kamera. Der Öffentlichkeit war bekannt, wo sie sich zu jeder beliebigen Zeit aufhielten. Fürs Songschreiben und Aufnehmen blieb ihnen nach ihrer Ochsentour keine Zeit, denn zu Weihnachten musste eine weitere Scheibe, Rubber Soul, in den Läden stehen, um das Produkt The Beatles kommerziell maximal auszuschlachten. Sie selbst sagten, sie seien ausgebrannt gewesen und hätten keine Songs in Reserve gehabt, die sie hätten einbringen können. Der Weihnachtstermin ließ sich nur halten, wenn die Stücke fertig geschrieben und die Instrumente weitgehend eingespielt waren, als die Beatles ins Studio gingen. Sehr wahrscheinlich haben sie dort kaum mehr getan, als die Gesänge beigesteuert. Ihnen blieben pro Stück gerade einmal ein oder zwei Tage Zeit, es perfekt hinzubekommen.“

„Was ist mit den Credits? Lennon-McCartney?“

„Lassen Sie mich aus einem Mersey Beat-Artikel zitieren, der kurz vor den Aufnahmen zu ihrem ersten Album im September 1962 erschien: ‚Die Beatles werden nach London fliegen, um in den EMI-Studios aufzunehmen. Sie werden Stücke einspielen, die sie von ihrem Aufnahmeleiter George Martin erhalten haben und die eigens für die Gruppe geschrieben worden sind.‘ Der selbe George Martin erzählte später in Interviews, dass er in der Band weder die künstlerischen noch die handwerklichen Fähigkeiten gegeben sah, die es seiner Ansicht nach für einen Erfolg gebraucht hätte.“

Veronica stand der Mund offen.

Maria Borghese lächelte. „Natürlich sind das alles keine gerichtsfesten Beweise, aber starke Indizien. Die hochtrabenden Behauptungen der offiziellen Story hingegen sind durch überhaupt nichts belegt. Niemand hat bezeugt, die Jungs Stücke schreiben zu sehen. Von den Aufnahmeterminen gibt es kein Filmmaterial. Die wenigen Fotos sehen gestellt aus. Von den einhundert Songs, die sie angeblich bis zu ihrer ersten Scheibe geschrieben haben sollen, finden offiziell nur eine Hand voll Verwendung; vom Rest sind nicht einmal die Titel bekannt. Fast die Hälfte des Materials, das sie live und auf Schallplatten zum besten geben, besteht aus Coverstücken, und das bleibt so bis zum letzten Konzert 1966. Es ändert sich erst, als mit Billy Shears ein ausgebildeter, erfahrener Studiomusiker McCartneys Platz einnimmt. Darum hatte Signore Campbell die Peppers-Skulptur und das Rubber Soul-Bild im Schaufenster angebracht. Sie symbolisieren die beiden großen Lügen um diese Band: dass sie Ausnahmetalente gewesen seien, die Hits auf Kommando ausspucken konnten, und dass sie von Anfang bis Ende die selben vier Freunde geblieben seien. Die Beatles waren das Produkt einer Industrie, die massenkompatible Illusionen verkaufte.“

„Es gab also ein virtuelles Fließband, das Hits nach Plan produzierte, und die Verkaufsfronten waren die Bands“, spann Veronica den Faden weiter.

„Nicht gab – gibt!“, erwiderte die Italienerin. Wenn sich junge Musiker heute wundern, weshalb sie trotz unbestreitbarer Fähigkeiten nicht weiterkommen, liegt es daran, dass es für die Labels in der Regel teurer wird, wenn sie wilde Talente fördern, als wenn sie den Nachwuchs selbst züchten. Die einen sind schwer zu kontrollieren, denn sie besitzen Kreativität und einen eigenen Willen, diese zu entwickeln; die anderen sind willenlose, abhängige Werkzeuge in den Händen einer Maschinerie, die sie in vorgefertigte Formen pressen und mit einem konstruierten Image versehen kann.“

Veronica zog ein säuerliches Gesicht. „Mir haben die Sechziger, die ich aus dem Fernsehen kenne, besser gefallen.“ Sie leerte ihre Tasse, schaute das Bild McCartneys darauf an und sagte angeekelt: „Bäääh!“

„Bä-ä-äh!“, korrigierte Maria sie im Tonfall eines blökenden Schafs.

Die beiden Frauen sahen sich gegenseitig an, dann begannen sie zu lachen.

„Wirklich? Bä-ä-äh? Was macht Sie so sicher?“

„Ich habe die Tasse für Paul anfertigen lassen. Sie war mein letztes Geburtstagsgeschenk an ihn…“ Maria seufzte. „Sie kennen die dargestellte Szene nicht?“

„Würde ich sonst fragen?“

„Sir Paul stellte sich bei einer Veranstaltung in Moskau den Fragen einiger Reporter. Jemand wollte wissen, ob er echt oder ein Double sei. Er antwortete, das könne er nicht sagen, es sei ein Geheimnis. Als er kurz darauf den Platz verließ, drehte er sich nochmals um und meckerte ziemlich überzeugend ins Mikrofon.“

„Bizarr! Und was sollte das?“

„Manche meinen, es sei eine herablassende Geste gegenüber den ‚sheeple‘, den Schafmenschen gewesen, die sich von den Massenmedien einseifen lassen, aber das ergibt keinen Sinn. Wenn man weiß, dass einer der Namen des Doubles William Shepherd, also Schäfer, lautet, bekommt man auf die Frage des Reporters eine klare Antwort.“

Veronica schaute noch immer zweifelnd drein. „Maria, wenn ich Ihnen zuhöre, komme ich mir dumm vor, diese Dinge nicht selbst schon längst entdeckt zu haben. Mein Vater und ich haben vor ein paar Tagen versucht, mehr über Mal Evans‘ Archiv herauszufinden, und sind dabei auf ähnlich skandalöse Zustände gestoßen. Einerseits sieht es nach einer regelrechten Desinformationskampagne aus, andererseits könnte der Anschein auf eine Reihe von Missverständnissen, Missinterpretationen und ungeschickten Äußerungen zurückzuführen sein. Die Sache ist wirklich riesig, wenn man die ganzen Implikationen bedenkt. Verstehen Sie, was ich meine?“

„Wie viele Aussagen wie die in Moskau brauchen Sie, bevor Sie zu der Ansicht gelangen, dass er sich nicht lediglich ungeschickt verhalten hat? Drei? Sechs? Zehn? Ich kann Ihnen wenigstens ein Dutzend davon zeigen. Sir Paul ist oft zur Doppelgängertheorie befragt worden. Jedes Mal antwortet er zweideutig, statt sich klar von der Behauptung zu distanzieren. Es gibt fast eben so viele belegte Äußerungen von engen Freunden und Kollegen, die ihn mit ‚Billy‘ oder ‚William‘ anreden oder von McCartney in der Vergangenheitsform sprechen. Er hier –“ sie zeigte auf die Ringo-Karikatur auf ihrer Tasse, „behauptet von sich, der letzte lebende Beatle zu sein. McCartneys Bruder Mike sagte einmal, er habe Paul zuletzt auf dessen Beerdigung gesehen. Ab wann werden aus vermeintlichen Missverständnissen Einsichten? Ich verstehe Ihre Befürchtungen nur zu gut, Signorina. Es geht nicht um die John White Band aus Chickenham, sondern um die größte und bis heute einflussreichste Musikgruppe der Geschichte. Es handelt sich ‚bloß‘ um Unterhaltung, doch wenn hier unter den Augen der interessierten Weltöffentlichkeit solche Stunts abgezogen werden konnten, was geschieht dann an weniger beachteten Stellen, die wirklich von Bedeutung sind? Die Antwort auf diese Frage erschüttert das gesamte Bild, das man sich von der Welt gemacht hat. Es hat mein Weltbild erschüttert. Es schmerzt; glauben Sie mir, ich weiß das. Aber sie müssen sich entscheiden, was Ihnen wichtiger ist: die hübsche Fassade Ihres Denkgebäudes oder die Integrität seiner Substanz.“

19) Und täglich grüßt der Peppers-Code

Zach nahm das Sgt. Peppers-Album zur Hand, um es eingehend zu studieren, drehte es, um auch die andere Seite zu betrachten und nickte dann. Er reichte es an Veronica weiter. Auch diese konnte nicht umhin, den Beschreibungen Maria Borgheses zuzustimmen.

„Das ist aber noch längst nicht alles. Halten Sie sich fest: Eine DNA-Probe Sir Pauls, die wegen einer Vaterschaftsklage aus Deutschland genommen wurde, stimmte nicht mit einer Probe aus den frühen Sechzigern überein. Eine Handschriftenanalyse belegte, dass die Unterschriften aus den Sechzigern und den Achtzigern nicht von derselben Person stammen – die spätere hat ein Rechtshänder gezeichnet; Paul war jedoch Linkshänder. Eine Stimmanalyse kam zum gleichen Schluss: nicht derselbe Mann. Als Sir Paul 1980 in Japan wegen Drogendelikten festgenommen wurde, stellten die Beamten fest, dass seine Fingerabdrücke nicht denen entsprachen, die 1960 im Zusammenhang mit einer Anzeige wegen Brandstiftung in Hamburg genommen wurden.“

„Atemberaubend. Wieso befindet sich der Mann dann noch auf freiem Fuß?“

„Die Klage in Deutschland wurde als verjährt zurückgewiesen. In Japan hat die britische Regierung zu seinen Gunsten eingegriffen. Die unabhängigen Untersuchungen zu Stimme und Aussehen wurden von den sogenannten Qualitätsmedien nur punktuell aufgegriffen und schnell wieder fallengelassen. All jene, die trotz allem nicht locker lassen, erledigt in den Augen der Weltöffentlichkeit das Wörtchen ‚Verschwörungstheorie‘.“

„Mit dem sind wir spätestens seit 2020 bestens vertraut. Es ist infam, aber Sie haben recht“, stimmte Zach zu. „Es spielt keine Rolle mehr, was man belegen und beweisen kann. Sobald man der Mehrheit widerspricht – die unhinterfragt glaubt, was die Massenmedien ihnen erzählen – wird man als Spinner abgestempelt; als ob Wahrheit das Ergebnis von Volksabstimmungen wäre.“

Maria Borghese hatte den Detektiv aufmerksam angeblickt, während er sprach. Sie fragte: „Und Sie, Signore Ziegler? Auf welcher Seite stehen Sie? Schlägt Ihr Herz für die Mehrheit oder für die Minderheit? Stimmt die offizielle Story oder haben die Infokrieger mit ihrer alternativen Sicht auf die Dinge recht?“

„Ich habe keinen Einsatz in diesem Spiel. Mich interessiert die Wahrheit, egal wohin sie mich führt. Sie besitzt keine zwei Seiten, sie macht keine Kompromisse. Wir alle sehen die Wirklichkeit durch unsere persönliche Brille und kommunizieren das, was wir von ihr wahrnehmen, solange es unsere persönliche Agenda fördert. Es ist unvermeidlich, weil es menschlich ist. Daher kann die Verantwortung für meinen Geist – für Wahrnehmung, Verarbeitung, Erinnerung und Weitergabe sinnlicher Eindrücke – immer, ohne Ausnahme, nur bei mir selbst liegen. Mein Herz schlägt für die, die sich aufrichtig Mühe geben, nach dieser Einsicht zu leben. Der Rest kann mit seinen Glaubensbekenntnissen von mir aus zum Teufel gehen.“

„Genau das tut er, glauben Sie mir. Genau das tut er buchstäblich. Aber sparen wir uns das Gespräch für einen anderen Tag auf. Ich bin höchst erfreut, in Ihnen Geschwister im Geiste gefunden zu haben. Ich hege keine Zweifel, dass wir wunderbar zusammenarbeiten werden. Sie sind würdige Nachfolger Signore Campbells.“

„Danke Maria – ich darf Sie doch so nennen, oder?“, sagte Veronica. „Wir fühlen uns Ihnen ähnlich verbunden. Ich werde natürlich meine eigenen Nachforschungen anstellen müssen. Wenn es stimmt, was Sie uns eben mitgeteilt haben, ändert das alles. Die Antwort auf meine ursprünglichen Fragen steht jedoch noch offen.“

„Sicher – Veronica“, antwortete die Italienerin mit einem sanften Lächeln. „Sie möchten wissen, was der Code auf der Basstrommel besagt?“

„Ja. Und weshalb Onkel Paul ihn an die Wand gehängt hat.“

„Unter dem Porträt des jungen Paul McCartney, wohlgemerkt. ‚I ONEI X‘ steht für 11 IX, den elften September – ein wichtiges Datum in der freimaurerischen Numerologie. Zufälle kommen in den Kreisen nicht vor. Diese Leute planen für Jahrhunderte im Voraus. Ein Todesfall am 11.9. stellt eine rituelle Opferung dar. ‚HE ◊ DIE‘ erklärt sich selbst, ist jedoch leicht inkorrekt. Die Raute zeigt auf Billy Shears, den lebendigen McCartney-Darsteller, nicht auf den verstorbenen Paul McCartney – ganz im Gegensatz zu dem Arrangement Ihres Onkels.“ Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter auf die Wand neben der Tür. „Signore Campbell arbeitete unter der Prämisse, dass der Peppers-Code die Wahrheit sagt. Das machte es einfacher, die ausgefallenen Wünsche seiner Kunden zu erfüllen, die fast alle der Überzeugung sind, dass Paul McCartney 1966 starb. Er hat mir nie gesagt, weshalb er das Bild aufgehängt hat, aber ich glaube, es sollte ihn täglich… zwicken.“

„Sie sagten doch, McCartney sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Wie passt ein Unfall zu einer geplanten Opferung?“, warf Zach ein.

„Als ich in Deutschland zur Schule ging, durchliefen wir ein Verkehrstraining für Fahrradfahrer. Ein paar Polizisten zeigten uns, wie man Unfälle vermeidet. Ich erinnere mich noch genau an den Titel einer Broschüre, die sie damals ausgeteilt haben: Unfall ist nie Zufall! Das gilt um so mehr, als der Fahrer des DB6 an sein schicksalhaftes Ende glaubte, und als seinem Schicksal möglicherweise nachgeholfen wurde, wie die Shears-Memoiren andeuten.“

Veronica schüttelte den Kopf. „Bei aller Liebe zur Wahrheit, ich glaube, wir haben heute Früh mehr erfahren, als wir in solch kurzer Zeit verarbeiten können. Ich habe tausend neue Fragen, aber mir platzt gleich die Schädeldecke weg. Lasst uns das Thema wechseln und eine Kleinigkeit essen.“

Der Detektiv und die Italienerin stimmten zu. Während die beiden über Einzelheiten der Zusammenarbeit diskutierten, holte Veronica Saft und Sandwiches aus der Küche. Als sie sich schließlich wieder gesetzt hatte, nahm sie sich lediglich eine kleine Käseecke, an der sie herumzuknabbern begann. Dem Gespräch folgte sie nur mit einem Ohr. Ihre Gedanken befanden sich hunderte Meilen entfernt, auf einer mondbeschienenen, von alten Bäumen gesäumten kurvigen Landstraße.


Kurz nach zehn Uhr desselben Montag Morgens schneite wie erwartet auch Thomas Henry Bishop alias Henry the Horse herein. Maria Borghese putzte gerade das Hinterzimmer. Der Boden des Ladens, den die Italienerin gewischt hatte, glänzte noch feucht. Henry nahm den Hut ab, grüßte die beiden Zieglers gut gelaunt und stellte fest: „Wie ich sehe, haben Sie eine Reinigungskraft gefunden.“

„Wir hatten Glück und konnten das Vertragsverhältnis mit Pauls Putzhilfe übernehmen“, erwiderte Zach.

„Oh, dann arbeitet Semolina also weiterhin hier? Ich freue mich sehr für sie. Sie werden sehen, die Frau ist ein Schatz!“

„Semolina? Wer ist Semolina?“, fragte Zach verwundert. „Nein, unsere Aushilfe heißt Maria Borghese.“

Henry lachte verlegen. „Entschuldigen Sie, dass ich Verwirrung stifte. Maria ist natürlich ein geschätztes Mitglied unserer Familie und führt als solches den Namen Semolina Pilchard. Sie haben sich noch gar nicht mit ihr über die Beatles unterhalten?“

„Sie haben keinen Ahnung… doch, vermutlich haben Sie mehr Ahnung als wir, schließlich haben Sie uns vor den dunklen Ecken der Bandhistorie gewarnt. Wir sind jedoch in der Kürze der Zeit noch nicht dazu gekommen, mit Maria über die Sammlerszene in Liverpool zu sprechen.“

„Tun Sie das, Zachary. Ich vertraue Semolinas Urteil uneingeschränkt. Da ich gerade hier bin, werde ich gerne auch selbst Auskunft erteilen.“

„Nun, wir hatten gestern Morgen das zweifelhafte Vergnügen, einer der Kreaturen von Mr Kite zu begegnen. Er lud uns für heute auf Kites Schloss ein.“

„Dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Ich komme gerade von meinem montäglichen Frühstück zurück und möchte Ihnen lediglich mitteilen, dass der Betrag für die Bänder angewiesen ist.“

„Sehr freundlich von Ihnen, danke!“, erwiderte Zach. „Konnten die Aufnahmen denn Ihre Erwartungen erfüllen?“

„Über die Maßen. Die Gespräche zwischen den Musikern fand ich äußerst kurzweilig. Sie arbeiteten tatsächlich an zwei unbekannten Stücken. Die Entscheidung, sie nicht auf das Album zu packen, war gerechtfertigt, aber wer weiß, was aus ihnen geworden wäre, wenn die Jungs noch ein wenig länger daran gefeilt hätten.“

„Die Beatles waren genial. Mir fällt kein anderes Wort dafür ein.“

„Die Musik ist zweifelsohne großartig, aber das Schreiben ist den Jungs nicht leicht gefallen. Es gibt genügend Hinweise, dass vieles aus der Feder von Ghostwritern stammt und ein guter Teil der Aufnahmen von Sessionmusikern eingespielt worden ist.“

Zach stöhnte. „Henry, nimm‘s mir nicht übel, aber wir haben von Maria – Semolina – heute eine volle Breitseite abbekommen. Veronica und ich werden das erst einmal verifizieren und verarbeiten müssen, bevor wir uns auf weitere Hiobsbotschaften einlassen können.“

„Selbstverständlich. Gut Ding will Weile haben, Zachary. Falls Sie den Fab Store weiterführen, bleibt Ihnen viel Zeit, die weniger erfreulichen Anblicke hinter der schönen Kulisse zu erkunden. Wie haben Sie sich denn nun entschieden? Werden Sie den Laden wieder aufmachen?“

„Ja, wir werden mit Semolinas Hilfe und dank Pauls Grundstock an Waren und Ersparnissen in der Lage sein, den Versuch zu wagen. Immerhin sind wir schon drei Mitgliedern der Familie begegnet, und morgen lernen wir das vierte kennen.“

„Ach morgen erst? Ich dachte, Sie wurden für heute eingeladen. Wann werden Sie denn in Wallace Castle erwartet?“

„Ich habe den Termin auf morgen um elf Uhr verschoben.“

Henry zeigte ein beeindrucktes Gesicht. „Sie sind äußerst couragiert, Zachary. Das gefällt mir. Strapazieren Sie die Geduld des Maestro jedoch nicht zu sehr. Er besitzt nur einen begrenzten Sinn für Humor.“

„Maestro? Wohl eher Zirkusdirektor, dem Clown nach zu urteilen, den er vorgeschickt hat.“

„Wie ich bereits andeutete, verfügt Kite über familiäre Verbindungen und finanzielle Mittel, die es angeraten sein lassen, ihn nicht unnötig zu reizen. Behalten Sie im Auge, dass er mit seinen Aufträgen wohl den größten Teil von Pauls Umsatz generiert hat. Und er greift anderen Sammlern gelegentlich unter die Arme, was Ihnen letztlich ebenfalls zugute kommt.“

„Schon gut. Ich kann es lediglich nicht leiden, wenn man mich einschüchtern und herumkommandieren will.“

„Hat der Bote Ihnen mitgeteilt, worin der Grund oder Anlass der Einladung besteht?“

„Nein. Wir können jedoch sicher sein, dass er über das Manuskript reden will.“

„Er wird auch wissen wollen, wie es mit dem Fab Store weitergeht. An seiner Stelle würde ich vorzufühlen versuchen, mit wem ich es künftig zu tun habe.“

„Würden Sie. So so…“ Zach zwinkerte. Sein rechter Zeigefinger richtete sich auf den älteren Mann, der Daumen fuhr herab wie der gespannte Hahn eines Revolvers.

Bishops Augen weiteten sich. „Erwischt. Zugegebenermaßen bin ich Kite ausnahmsweise eine Nasenlänge voraus.“

„Und Sie stellen sich etwas geschickter an. Wissen Sie, Henry, ich habe kein Problem damit, schlauen Menschen die Früchte ihrer Bemühungen zu überlassen. Es geht mir jedoch entschieden gegen den Strich, wenn jemand eine Agent-Smith-Nummer abzieht.“

18) Die Tür zum ersten Kreis der Hölle

Die Worte der Italienerin hatten Veronica in jenen verwirrten Zustand zurückgeworfen, in der sie sich bei der Entdeckung des Peppers-Codes am frühen Morgen befunden hatte. Die Kakophonie der Stimmen in ihrem Kopf betäubte sie und hinderte sie daran, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie in Trance packte sie die Schallplatte, den kleinen runden Rahmen und den Taschenspiegel zusammen und folgte ihrem Vater und Maria nach hinten in den Raum, in dem ihr Onkel ermordet worden war. Sie schloss die Tür. Ein runder Fleck auf der Tapete daneben markierte die Stelle, an der der runde Rahmen gehangen hatte. Einen Moment lang war ihr Geist völlig leer. Dann schaute sie auf ihre Hände hinab. Sie sah das kleine Bild… Und jetzt?… Sie hängte es an seinen Platz zurück. Ihre Augen lasen den Schriftzug: „I ONEI X HE ◊ DIE“, lasen ihn erneut: „I ONEI X HE ◊ DIE“, erneut: „I ONEI X HE ◊ DIE“, erneut. „I ONEI X HE ◊ DIE.“

Sie drehte sich um. Maria Borghese setzte sich gerade in den Sessel. Ihr Vater ließ sich auf das Sofa nieder. Seine freudige Stimmung war innerhalb von Sekunden völlig verflogen. Sein Gesicht wirkte aschfahl. Veronica glaubte zu wissen, was in ihm vorging. Sie standen wieder an jenem finsteren Abgrund, von dem Henry gesprochen hatte, und ihm graute davor, was sie darin entdecken mochten.

„Signorina, Signore Ziegler,“ begann die Italienerin zu sprechen, „ich bin ein Mensch, der sich bemüht, die Dinge realistisch zu betrachten. Ich enthalte mich übertriebener Darstellungen. Davon hängt der Erfolg meiner Arbeit ab. Verstehen Sie daher, was ich nun zu sagen habe, nicht als aufgeblasene Wichtigtuerei. Dies sind Tatsachen von höchster Brisanz. Wenn Sie sie in ihrer vollen Bedeutung erfasst haben, werden Sie die Welt nie wieder so sehen können, wie weit über neunzig Prozent der Leute da draußen.“

Betretene Stille.

„Ich hätte mir gewünscht, unseren ersten Tag der Zusammenarbeit leichtherziger zu verbringen. Welch ein Unglück, mit der Tür derart ins Haus fallen zu müssen. Vielleicht ist es aber so am besten, denn Sie werden von nun an ohnehin fast täglich damit befasst sein.“ Maria Borghese legte wieder eine Pause ein. Schließlich beugte sie sich vor. Von einem zur anderen schauend fragte sie: „Haben Sie je das Gerücht gehört, dass Paul McCartney tot sein soll?“

Veronica stöhnte leise. „Ich habe es geahnt!“

Zachs Kopf hüpfte mehrfach auf und ab. „Erst vorgestern hat mich der Chef der Mordkommission mit der Nase darauf gestoßen. Ich bin mir fast sicher, es schon vor Jahrzehnten gehört aber nicht ernst genommen zu haben.“

„Hat er das?“, fragte Maria erstaunt.

„Ja. Er tat den Gedanken als Revolvergeschichte ab.“

„Der gute Desmond gehört zu jenen, die es besser wissen müssten. Ich behaupte darüber hinaus, dass er es tatsächlich besser weiß.“

„Moment mal, Sie wollen sagen, dass hinter den Gerüchten mehr steckt als Sensationsgier?“ Veronica.

Statt einer Antwort schloss die Italienerin langsam die Augen und öffnete sie dann ebenso langsam wieder.

„Aber… wie geht das? Wir haben mit dieser Idee gespielt, weil ihre Enthüllung natürlich den besten Grund abgegeben hätte, Mal Evans und andere Plappermäuler aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn ich überlege, wie das praktisch vonstatten gehen soll, einen globalen Superstar durch ein Double zu ersetzen, versagt jedoch meine Vorstellungskraft. Milliarden Menschen richteten täglich ihre Augen auf diese Person. Irgendwer hätte Alarm geschlagen.“

„Milliarden Menschen richteten ihre Augen auf mediale Bilder, unter denen ‚Paul McCartney‘ geschrieben stand. Sie sahen, was man ihnen zu sehen aufgetragen hatte. Obgleich man verschiedene Bilder von Beatle Paul nebeneinander legen kann, die belegen, dass im Lauf der Jahre mehrere Doubles eingesetzt wurden, sehen die Leute bis heute, was sie zu sehen erwarten. Die Verwendung von Doppelgängern ist in Politik und Unterhaltung seit langem gängige Praxis. Stalin und Saddam dürften die bekanntesten Beispiele hierfür darstellen. Auch gefälschte Film- und Fotoaufnahmen sind weder eine Selten- noch eine Besonderheit. Denken Sie an all die Prominenten, die in echt ganz anders aussehen als auf den Hochglanzseiten der Modemagazine. In Zeiten von Photoshop und Deep Fakes geraten authentische Bilddokumente langsam in die Minderheit. Der leiblichen Person kommen dagegen nur sehr, sehr wenige Leute nahe genug, um Unterschiede wahrnehmen zu können.“

„Okay, aber weshalb spielen eben jene wenigen alle mit? Weshalb sagt niemand: ‚Das ist nicht unser Vater‘? ‚Das ist nicht mein alter Freund‘?“

„Die Antwort hierauf mag für verschiedene Zeugen verschieden lauten. Evans‘ Schicksal ist vielleicht die extremste Variante. Man muss bedenken, dass einflussreiche Menschen es häufig vorziehen, unter ihresgleichen zu bleiben, in einer Art geschlossenem Club, in dem jeder weiß, wann er dichtzuhalten hat. Kontrolle über die Presse kann verhindern, dass unliebsame Nachrichten die Runde machen. Familienmitglieder werden das Andenken ihres Verwandten nicht durch Skandale beschmutzen wollen. Geschäftspartner haben Verluste zu befürchten, wenn bekannt wird, dass die Gans, die goldene Eier für sie legte, gestorben ist. Die Regierung könnte Unruhen und Selbstmordwellen befürchten. Gründe mitzuspielen gibt es also genug. Viel faszinierender finde ich, dass sowohl die Band als auch ihr nahe stehende Personen unzählige dezente Hinweise gegeben haben – wie das Cover des Sgt. Peppers Albums –, die entweder nie vom Mainstream aufgegriffen worden sind oder einfach als Unsinn abgestempelt wurden.“

Zach richtete sich auf. „Das ist ein Punkt, der mir widersprüchlich vorkommt. Es erscheint mir unlogisch, dass man einerseits im Geheimen einen fliegenden Wechsel hinlegt, möglicherweise inklusive der Beseitigung unliebsamer Zeugen, und gleichzeitig, buchstäblich mit Pauken und Trompeten, die Neuigkeiten bekannt macht.“

„Auch hierfür mag es verschiedene Gründe geben“, erläuterte Maria Borghese. „Man mag gehofft haben, dass man die Öffentlichkeit langsam auf die schlechten Nachrichten vorbereiten kann. Oder es könnte sich um ein Katz- und Mausspiel handeln, bei dem unter Beweis gestellt werden sollte, was unter der Nase der Öffentlichkeit alles möglich ist. Die Band wird zur Verschwiegenheit verpflichtet worden sein, nutzte jedoch jede Möglichkeit, die Wahrheit unter dem Deckmantel der Fiktion hinauszuposaunen. Und vielleicht spielte auch die Eitelkeit des Ersatzmannes eine Rolle, der der Nachwelt zur Kenntnis geben wollte, wer in Wirklichkeit hinter der genialen Musik der Spätphase der Beatles steckte.“

„All diese vielen ‚Vielleichts‘,“ beschwerte sich Veronica. „Weiß man denn nichts Konkretes? Wann und wie soll McCartney gestorben sein? Wer ist der Mann, der ihn ersetzt haben soll?“

„Nun, was man konkret weiß, können Sie in allen gängigen Biografien nachlesen. Die Beatles legten am 29. August 1966 das letzte Konzert ihrer Geschichte im Candlestick Park in San Francisco hin und kehrten am folgenden Tag nach London zurück. Sie ließen verlauten, dass sie nicht mehr live auftreten wollten. Die vier Musiker widmeten sich sofort unterschiedlichen Projekten. Bis zur Veröffentlichung des Sgt.-Peppers-Albums im Mai 1967 gaben sie nur sehr wenige Interviews und traten so selten im Fernsehen auf, dass ein Gerücht die Runde machte, die Beatles hätten sich aufgelöst. Das Fanmagazin The Beatles Book Monthly reagierte im Februar 1967 auf ein weiteres Gerücht: Dass Paul McCartney am 7. Januar bei einem Unfall auf der vereisten Autobahn M1 ums Leben gekommen sein soll, sei völlig unwahr, schrieben sie. Der Beatles-Pressesprecher habe bekannt gegeben, dass er den Musiker am Telefon gesprochen habe. Paul habe mitgeteilt, dass sein schwarzer Mini-Cooper heil in der Garage stehe.“

„Und das war gelogen“, warf Zach halb fragend, halb feststellend ein.

„Aber nein, die Meldung, dass die Gerüchte falsch waren, entsprach der Wahrheit. Sie ist ein Paradebeispiel der Irreführung durch falsche Fährten, eine Nebelkerze, wie sie im Buche steht. Es geschah nicht am 7. Januar 1967, sondern am 11. September 1966, weniger als zwei Wochen nach der Rückkehr aus den USA. Paul McCartney besaß keinen schwarzen sondern einen lindgrünen Austin Mini, des weiteren einen silberblauen Aston Martin DB5 und einen dunkelgrünen Aston Martin DB6 – den Unfallwagen. Er verunglückte nicht auf der M1, sondern auf der Dewsbury Road, einer kurvigen Landstraße. Das Gerücht über Pauls Tod am 7.1.67 auf der M1 in einem schwarzen Mini Cooper ist tatsächlich völlig aus der Luft gegriffen.“

Der Detektiv schnaubte. „Brillant formuliert, man muss es eingestehen. Was macht Sie nun so sicher, dass Ihre Version der Geschichte die richtige ist?“

„Wir haben den Mann, der den Toten ersetzte.“

„Jetzt wird‘s spannend“, sagte Zach. „Wie heißt er denn?“

Die Italienerin grinste. „Er nennt sich Sir Paul McCartney.“

Zach stieß ein bellendes Lachen aus. Veronica kicherte. „Kein Scheiß!“, witzelte sie.

Maria Borghese fiel in ihr Lachen mit ein. Dann fuhr sie fort: „Das Titelstück des Sgt.-Peppers-Albums nennt uns seinen Namen: Billy Shears. Zumindest ist das einer seiner Namen. Er ist nicht nur ‚der Mann mit den tausend Stimmen‘, wie wir vom Song The Fool On The Hill erfahren, ein großartiger Stimmimitator, sondern auch ein Mensch mit zahlreichen Namen, darunter William Wallace Campbell, William Shepherd, Billy Pepper, Apollo Wermouth, Vivian Stanshall und Phil Ackrill. Später kamen neben der Persona McCartney weitere hinzu, beispielsweise Percy ‚Thrills‘ Thrillington. Im Film Magical Mystery Tour verrät er uns, dass er 1937 geboren wurde und somit fünf Jahre älter ist als der echte Paul. Billy macht gelinde gesagt wenig Hehl daraus, dass er für einen toten Mann eingesprungen ist. Das fängt bei der Begräbnisszene auf dem Peppers-Album an, das unter seiner Regie entstanden ist – den Code mit dem Todesdatum haben Sie ja schon entdeckt, Signorina –, zieht sich ab diesem Zeitpunkt wie ein roter Faden durch hunderte von Textstellen in Songs, kommt ständig in zweideutigen Interviewäußerungen zum Vorschein und findet seinen Höhepunkt in einer fast siebenhundert-seitigen Autobiografie, die an Offenheit kaum zu überbieten ist.“

„Sie machen Witze!“, staunte Veronica. „Einer der bekanntesten Männer der Welt schreibt seine Memoiren, aber niemand nimmt das Geständnis zur Kenntnis, dass Sir Paul eigentlich Billy Shears – oder wie auch immer – heißt?“

„Signorina Veronica, er verkauft das Buch natürlich nicht unter seinem Beatles-Namen. Das würde ihm mit Sicherheit große rechtliche Schwierigkeiten eintragen, wie er im Text betont. Der Titel lautet The Memoirs of Billy Shears, wurde von einem gewissen Thomas E. Uharriet ‚kodiert‘, und behauptet im Impressum, ein fiktiver historischer Roman zu sein. Im Text dagegen bezieht er sich immer wieder auf ‚diesen sogenannten Roman‘, eine Literaturform, die er habe wählen müssen, um Tacheles reden zu können. Dank dieser Konstruktion kann er jederzeit glaubhaft behaupten, es sei alles nur fiktiv – eine reine Erfindung.“

„Nun, vielleicht ist es das. Woher wissen wir, dass die Memoirs keine Erfindung dieses sogenannten Kodierers sind?“, hakte Zach nach.

„Das Buch erschien seit 2009 in vier Auflagen. Es trägt das Bild McCartneys auf dem Umschlag, legt dem Musiker Worte in den Mund, unterstellt ihm Mitwisserschaft an einem Verbrechen und zitiert mehr als zulässig aus den Texten seiner Kompositionen. In vierzehn Jahren hat Sir Paul nie rechtliche Schritte dagegen eingeleitet. Der Verlag heißt Peppers Press. Mit ein bisschen Recherche erfährt man schnell, dass es sich um eines der vielen Tochterunternehmen von Macca Corp. handelt, dem Konzern, der Sir Pauls Aktivitäten den Rahmen gibt. Der Kodierer ist Geschäftsführer des Verlages. Das Buch erschien am selben Tag wie die Neuauflage der Beatles-Remasters und wird zusammen mit Sir Pauls offiziellem Buch The Lyrics promotet, das vor zwei Jahren veröffentlicht wurde.“

„Okay, starke Indikatoren für die Annahme, dass es sich bei Sir Paul und Billy Shears um dieselbe Person handelt“, gestand Veronica zu. „Was ist mit handfesten Beweisen?“

„McCartneys Gesichtsgeometrie hat sich von Mitte 1966 bis Anfang 1967 stark verändert. Manches kann auf Operationen und Implantate zurückgeführt werden, manches andere aber auch nicht. Sein Gesicht ist länger geworden, die Ohren ebenfalls; sie stehen nun weniger ab, sind am unteren Ende nicht mehr mit der Wange verbunden und unterscheiden sich in weiteren Details, die man nicht umoperieren kann. Seine Gesamtgröße ist um etliche Zoll länger geworden. Die Augen seiner Freundin Jane Asher befanden sich vorher über der Höhe seines Mundes, später auf Kinnhöhe. Im Vergleich zu Mal Evans war er ursprünglich einen halben Kopf kleiner als der Roadie, später fehlte wenig und er wäre ihm ebenbürtig gewesen. Als die Beatles noch zusammen auftraten, waren George, Paul und John ungefähr gleich groß. Spätere Fotos und Filme zeigen deutliche Größenunterschiede zwischen dem falschen Paul und den anderen. Das fängt schon bei Front und Rückseite des Peppers-Covers an. Überzeugen Sie sich selbst!“