Eine Kette mit Bügelschloss hinderte sie am Öffnen des Gatters. Zach stellte den Motor ab, ließ jedoch das Licht brennen, um die Strecke bis zum Haus zu beleuchten. In der Eile ihres Aufbruchs hatten sie vergessen, eine Taschenlampe einzupacken. Der Detektiv und die Italienerin kletterten über das niedrige Tor. Die Zufahrt lag verlassen vor ihnen. Langsam gingen sie auf das Gebäude zu, dessen einziges Stockwerk zum Teil hinter hohem Gras verborgen lag. Die Fenster waren durch schwere Holzläden verbarrikadiert. Nicht der geringste Lichtstrahl war zu sehen. Zach und Maria lauschten in die tiefe, mondlose Nacht, doch außer dem Donnern des Ozeans, der dicht hinter dem ehemaligen Bauernhof an die Klippen brandete, hörten sie keine Geräusche. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Menschen hin. Während Zach an die Holzbohlentür klopfte, ging Maria der Fassade entlang und rief laut Kirks und Veronicas Namen. Einige Minuten später stellten sie die Versuche ein. Sie umrundeten das Haus. Maria nahm Zach bei der Hand und führte ihn zielstrebig zu einer steinernen Sitzbank, die aufs Meer hinausblickte. Dort setzten sie sich erschöpft, legten die Arme um einander und schwiegen, Kopf an Kopf.
Veronica humpelte vom Haus weg auf die beiden abgestellten Autos zu. Hinter ihrem Sportwagen stand leicht versetzt der weiße Käfer mit der Nummer LMW 28IF. Sie schaute durch das Seitenfenster. Der Schlüssel steckte. Sollte sie ihn abziehen? Nein, besser keine Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen. Sie hinkte zu ihrem GT. Seine Tür war noch immer unverschlossen; auch hier steckte der Schlüssel neben dem Lenkrad im Zündschloss. Sie ließ sich auf den Fahrersitz fallen, warf das aus Bettlaken improvisierte Seil, mit dem sie durch eines der unvergitterten Fenster im ersten Stock geflüchtet war, in den Fußraum neben sich und startete den Wagen. Vorsichtig steuerte sie rückwärts, dicht an dem weißen Käfer vorbei. Sie achtete peinlichst genau darauf, nur auf dem geschotterten Pfad zu fahren, um keine Reifenabdrücke zu erzeugen. Im Haus würde das Feuer ihre Kleidung und die von ihr hinterlassene DNS vernichten. Wahrscheinlich würde es auch verhindern, dass man herausfand, dass die beiden Männer durch Fremdeinwirkung gestorben waren. Sie hatte keine Gewissensbisse deswegen. Sie hatte in Notwehr gehandelt und sie hoffte außerdem, dass den beiden Folterknechte im Jenseits ihr gerechtes Karma zuteil wurde. Aber sie wollte auf gar keinen Fall mit den Organisationen zu tun bekommen, die die Verbrechen dieser Männer deckten: die Polizei ihrer Majestät und die Illuminaten. Mit unter zwanzig Meilen pro Stunde lenkte sie den Wagen über kaum befestigte Landwege zurück in die Zivilisation.
Sie mochten etwa zwanzig Minuten so auf der Bank gesessen haben. Ein leichter Wind, der nun einsetzte, trug Gischt vom Meer heran, die sie langsam einnässte. Maria berührte Zachs Wange. Mattes Sternenlicht schimmerte in ihren Augen, während die Zeit zu gerinnen schien. Ihre Gesichter näherten sich, vorsichtig, zögernd. Nasenspitzen passierten einander, strichen sacht über die warme Haut ihres Gegenübers, bis seine Lippen sich auf ihre legten.
Erst als sie die M6 Richtung Liverpool erreicht hatte, gestattet sie es sich, aufzuatmen. Nur noch etwa anderthalb Stunden, dann war sie zuhause. Doch so langsam drohte die Müdigkeit sie zu übermannen. Sie nahm die Abfahrt zum nächsten Parkplatz und stellte den GT an einer Stelle ab, an der dichtes Gebüsch die Lichter des vorbeihuschenden Verkehrs vollständig blockierte. Sie verriegelte die Türen von innen, kippte die Sitzlehne nach hinten und fiel sofort in tiefen Schlaf.
„Lass uns umkehren.“ Niemand hatte die Worte ausgesprochen, und doch waren sie sich einig gewesen, dass es an der Zeit war, nach Hause zurückzufahren. Vor der verschlossenen Haustür des alten Gemäuers konnten sie nichts mehr für Kirk tun. Sie hielt sich an einem anderen Ort auf. Wahrscheinlich war sie nie hier gewesen, und dasselbe galt für Veronica. Maria sah keinerlei Anzeichen, dass in den Monaten seit der Sonnenwendfeier jemand das Grundstück betreten hätte.
Der Mini wartete geduldig jenseits des Gatters auf ihre Rückkehr. Seine Frontscheinwerfer brannten noch genau so hell wie vor einer halben Stunde, als sie ihn verlassen hatten. Es war leichtsinnig gewesen, seine Batterie an diesem entlegenen Ort zu beanspruchen, aber er nahm es ihnen nicht übel, sondern sprang sofort an, als Maria den Zündschlüssel drehte. Sie musste über einhundert Yards zurücksetzen, bevor sie eine Stelle erreichte, an der sie den Wagen wenden konnte. Von da an legten sich ihnen – abgesehen vom erbarmungswürdigen Zustand des Feldwegs – keine weiteren Hindernisse in den Weg. Zügig erreichten sie den Motorway gen Süden. Auf halber Strecke bat Zach um eine kurze Rast. Maria steuerte die nächste Ausfahrt an, einen unbeleuchteten Parkplatz. Während der Detektiv kurz zwischen die Büsche trat, um sich zu erleichtern, streckte Marie ausgiebig die vom Fahren verkrampften Glieder. Als Zach zurückkehrte, fragte er: „Sollen wir eine halbe Stunde rasten oder schaffst du den restlichen Weg?“
„Ich halte durch. Lass uns weiterfahren.“
Also stiegen sie wieder ein. Maria startete den Wagen, drückte sacht das Gaspedal und lenkte den Wagen zur M6 zurück. „Halt!“, rief Zach plötzlich. Hektisch stieg sie in die Eisen. Der Mini kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Zach riss die Beifahrertür auf. Schnell legte er die wenigen Schritte bis zu einem orange lackierten Sportwagen zurück, der am Straßenrand abgestellt war, brachte den Kopf ganz nah an dessen Seitenscheibe und schaute hinein. Eine blonde junge Frau starrte halb verschlafen, halb erschreckt zurück – Veronica.